Bert Breit
* 27. Juli 1927
Schibboleth. Trio für Violine, Violoncello und Klavier (1996)
Komponiert: | Salzburg, 1996 |
Widmung: | Für Wolfgang Tschernutter, obdachlos, der von Jugendlichen erschlagen wurde |
Uraufführung: | Schwaz, St. Martin, 24. September 1997 Altenberg Trio Wien Claus-Christian Schuster, Klavier Amiram Ganz, Violine Martin Hornstein, Violoncello |
Erstausgabe: | Manuskript |
In der Sonderbeilage „Klangspuren 1996“ der Tiroler Tageszeitung
(Nr.211, Mittwoch, 11. September 1996) erschien anläßlich der für den
13. September 1996 geplanten Uraufführung des Werkes folgender Text des
Komponisten:
„Das Klaviertrio, das ich für die Klangspuren 1996 geschrieben habe,
trägt den Titel „Schibboleth“. Schibboleth ist ein hebräisches Wort und
bedeutet soviel wie Erkennungszeichen oder Codewort.
Erklärungen zu Stil, Form und Aufbau des Trios scheinen mir nicht notwendig, nicht wichtig zu sein.
Wichtig für mich hingegen ist, daß diese Musik einem Mann gewidmet ist,
der vor zwei Jahren in Innsbruck von einem Jugendlichen erschlagen
wurde.
Wolfgang Tschernutter war ein Obdachloser, der sich mit geringsten
mitteln durchs Leben brachte. Seine Friedfertigkeit und seine
Aggressionslosigkeit waren bekannt. Sogar Bürger, die um Sandler und
Obdachlose normalerweise einen Bogen machen, fanden ihn sympathisch.
Als der Mord an Wolfgang Tschernutter bekannt wurde, stellten engagierte
Bürger ein Denkmal, gestaltet von dem Bildhauer Alois Schild, in der
Maria-Theresien-Straße auf. Dieses Denkmal wurde auf Anordnung der
Stadtverwaltung entfernt und beim ehemaligen Nazi-Arbeitslager in der
Reichenau „entsorgt“. Nach langem behördlichen Hin und Her fand sich ein
Platz für das Denkmal auf dem Gelände der Innsbrucker Universität. Eine
Gedenktafel beim Höttinger Hallenbad – dem Ort des Mordes – wurde von
unbekannter Hand entfernt.
Offenbar wollen Leute, die bei uns das Sagen haben, wollen gewisse
Politiker nicht, daß an den Mord erinnert wird. Wohl deshlab, weil
dieser Mord nicht die „unbegreifliche“ private Tat von Psychopathen war,
sondern eine Tat, die in einem Klima möglich war, das geprägt ist vom
Haß auf Außenseiter, vom Haß auf Schwächere und schwach Gemachte; in
einem Klima, das geprägt ist von jodelnder Selbstgefälligkeit,
Trachtenjanker-Jargon und lebfrischer Holladrio-Heuchelei.
Wer an diesen Mord erinnert wird, wird auch an die skandalöse Lage der
anderen Obdachlosen Innsbrucks erinnert; denkende Bürger wissen, daß
diese Lage nicht zu ändern ist mit Mildtätigkeit und Almosen-Geben. Eher
mit längst fälligen öffentlichen Maßnahmen, die zu fordern sind.
Die Widmung, die ich dem Trio vorangestellt habe lautet:
Für Wolfgang Tschernutter
obdachlos
der von Jugendlichen
erschlagen wurde
Ich hoffe, daß diese Widmung ein kleiner Beitrag ist gegen das Vergessen
und zum Nachdenken über Zusammenhänge anregt zwischen Armut,
Wohnungsmieten, Arbeitslosigkeit, Verelendung und restriktiven
Sozialhilfen.
Bert Breit (1996)
Die wegen Erkrankung eines Ensemblemitglieds verschobene Uraufführung
des zweisätzigen Werkes wurde in den Klangspuren 1997 am 24. September
1997 nachgeholt.
© by Claus-Christian Schuster