Gabriel Fauré
* 12. Mai 1845
† 03. November 1924
Trio d-moll op.120
Komponiert: | Paris, Mai 1922 – Februar 1923 |
Widmung: | Mme. Maurice Rouvier |
Uraufführung: | Paris, Société Nationale de Musique, 12. Mai 1923 Tatiana Sanzévitch, Klavier Robert Krettly (1891-), Violine Jacques Patté, Violoncello |
Erstausgabe: | Durand, Paris, 1923 |
Wenige Wochen nach seinem 75. Geburtstag war Fauré nach fünfzehnjähriger Amtszeit als Direktor des Pariser Conservatoire pensioniert worden. Die ihn schon seit 1903 quälende Erkrankung des inneren Ohres hatte im Laufe der Jahre zu fast völliger Taubheit geführt, zu der sich nun ein fortschreitendes Nachlassen der Sehkraft gesellte. „So nimmt man Abschied, Stück um Stück…“ schreibt er seinem Sohn. Die meiste Zeit verbringt er jetzt bei Freunden in Savoyen und an der Côte-d’Azur. Er leidet unter seiner eigenen Untätigkeit, die immer seltener von den erlösenden Momenten wiederaufflammender Schaffenskraft unterbrochen wird.
In Nizza erreicht ihn im Jänner 1922 ein Brief seines Verlegers Durand, in dem ihn dieser um die Komposition eines Klaviertrios bittet. Fauré macht sich an die Arbeit, aber etliche Wochen später muß er resignierend feststellen:
„Ich habe in all der Zeit hier noch keine zwei brauchbaren Noten geschrieben… ich tue nichts als ein wenig lesen, Besuche empfangen – und von früh bis spät meine schöne Nachbarin, das Mittelmeer betrachten.“
Erst im Mai, schon wieder in Paris, beginnt der Kopfsatz des Trios Gestalt anzunehmen; doch bald gerät die Arbeit wieder ins Stocken. Um der bedrückenden Lethargie zu entfliehen, faßt Fauré den Entschluß, noch einmal in das Land seiner Kindheit zu reisen. Aus Gesundheitsrücksichten kann er zwar nicht nach Pamiers fahren, aber in Argelès, südlich von Lourdes, wo er den ganzen Juli verbringt, hat er auch Tag für Tag die geliebten Pyrenäen vor Augen. Und wirklich: hier endlich löst sich der Bann. Als er im August zu seinen Freunden nach Savoyen abreist, hat er schon einen Teil des Andantino im Kopf konzipiert. In Annecy-le-Vieux, in der Villa „Charmilles“, die er zusammen mit seinen Freunden Fernand und Louise Maillot bewohnt, schreibt er dann innerhalb weniger Tage dieses Herzstück des Werkes nieder, das zu diesem Zeitpunkt übrigens noch als Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier konzipiert war und die Violine nur als Alternativbesetzung vorsah.
Aus Furcht, an der Côte-d’Azur wieder in Untätigkeit zu versinken, entschließt sich Fauré, den Winter diesmal in Paris zu verbringen. In der Einsamkeit seiner Wohnung, 32, rue des Vignes, schreibt der taube und halbblinde Meister in diesen Wintermonaten die Ecksätze des Trios, das schließlich im Februar 1923 vollendet wird. An Faurés 78. Geburtstag wird das Trio in einem Konzert der Société Nationale de Musique uraufgeführt; doch die eigentliche Wirkungsgeschichte des Werkes beginnt erst einige Wochen später, am 19. Juni 1923: an diesem Tag findet in der Salle Pleyel ein denkwürdiges Konzert statt, in dessen Mittelpunkt das neue Trio steht. Alfred Cortot, Jacques Thibaud und Pablo Casals sind diesmal die Interpreten.
Das eröffnende Allegro ma non troppo ist ein klassisch gebauter Sonatensatz, dessen Wirkung (wie im Kopfsatz des Trios von Ravel, das Fauré sehr bewunderte) auf der subtilen Balance von formgebend- „bildhauerischen“ und stimmungsbildenden, „malerischen“ Mitteln beruht: während die Ökonomie und Kohärenz des motivischen Materials das Gefühl größter Geschlossenheit vermittelt, erweckt die Harmonik und melodisch-rhythmische Gestik des Satzes den Eindruck schwebender und unbegrenzter Freiheit.
Das Andantino (F-Dur) ist einer der glücklichsten Momente der französischen Kammermusik überhaupt; die durchführungslose zweiteilige Form bietet Raum für zwei sehr gegensätzliche Gedanken, die aber schließlich in der Coda mühelos ineinander aufgehen. In harmonischer Hinsicht hält der Satz einige der kostbarsten Trouvaillen bereit, und man ist Fauré dafür dankbar, daß er uns durch die großzügige Verwendung von Sequenzen ermöglicht, einigen dieser unfaßbaren Schritte mehr als einmal folgen zu dürfen.
Das Kopfmotiv des Finalsatzes (Allegro vivo) erinnert oberflächliche Hörer immer nur an eine Allerweltswendung aus Leoncavallos „Pagliacci“, einer Musik, mit deren äußerlich-effektvollem Pathos Faurés Idiom nun wirklich gar nichts zu schaffen hat. Die Allure ist die eines von rhapsodischen und rezitativischen Momenten unterbrochenen französischen Tanzes mit seinen typisch gallischen Dreitaktgruppen. Die Endfassung unterstreicht diese Herkunft durch die Verwendung des im französischen Volkstanz beliebten Dreiachteltaktes ( – in der Urfassung, deren Autograph sich heute in Chicago befindet, stand der Satz noch im „klassischen“ Dreivierteltakt.). An einigen Stellen scheint sich der Tanz in recht beängstigendes harmonisches Gestrüpp zu verirren oder in unberechenbare rhythmische Stromschnellen zu geraten, aber all diese Hindernisse können die strahlende D-Dur-Apotheose nicht gefährden.
Über alle Maßen bewundernswert ist, wie Fauré es versteht, weder die Cellostimme noch den Klavierbaß mit den üblichen Baßfunktionen zu belasten, ohne deswegen die traditionelle Klaviertriotextur in Unordnung zu bringen; das sich daraus ergebende feine Wechselspiel zwischen weiten, „baßlosen“, also sozusagen schwerelosen Teilen einerseits und den sorgfältig plazierten Momenten, wo Funktionsbässe den entscheidenden Punkten Tiefe und Gewicht geben, gehört zu den unnachahmlichen Eigenheiten von Faurés Spätstil.
Am 20. Juni 1923, gerade einen Tag nach der zweiten „Uraufführung“ des Trios durch Cortot/Thibaud/Casals, findet in der Sorbonne ein feierlicher nationaler Festakt unter dem Motto „Hommage à Fauré“ statt. Doch dieses Bild des schon zu Lebzeiten kanonisierten Nationalheiligen der französischen Musik ist trügerisch. Es gibt unter den wirklich großen Meistern der Musik vielleicht keinen zweiten, dessen Musik so beharrlich verkannt und so wenig wirklich gekannt wird. Ganz ohne Groll und etwas belustigt berichtet Fauré 1922, man habe ihn in der Öffentlichkeit zur Aufführung seiner „neuen“ Ballade für Klavier und Orchester herzlich beglückwünscht – Entstehung und Uraufführung dieses Werkes lagen damals immerhin schon rund vierzig Jahre zurück. Ein Jahrzehnt nach Faurés Tod schreibt Wilhelm Altmann über das Trio, es sei dürftig, langweilig und weitschweifig. Wenn das nun nicht gerade jener selbe (durch seine sorgfältigen Bibliographien im übrigen sehr verdienstvolle) Wilhelm Altmann, langjähriger Direktor der Musiksammlung der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin, wäre, der im gleichen Atemzug harmlose Epigonen großzügig zu „Meistern“ ernennt, der aber gleichwohl nicht mutig genug ist, um eine recht wohlwollende Beurteilung der Klaviertrios Anton Rubinsteins stehen zu lassen, ohne sich durch die kühne Behauptung abzusichern, Rubinstein sei „arischer Sibirier“ gewesen, könnte man sich die Mühe machen, ihm das Urteil zurückzugeben; das Werk selbst verteidigt sich aber wohl am besten.
Und heute? Seit Jahren sind wichtige Werke Faurés im Notenhandel vergriffen. Nur einige wenige „Schlager“ der frühen und mittleren Schaffensperiode haben es zu unangefochtener Popularität gebracht. Die harmonisch und kontrapunktisch viel kompliziertere und sprödere Sprache der Spätwerke hat dagegen nur wenige Freunde gefunden; und doch ist es gerade dieser Fauré, über den ein Kritiker nach der Uraufführung des Trios halb bewundernd, halb besorgt meinte: „Wohin wird er wohl noch gehen, wenn er hundert Jahre alt wird?“
© by Claus-Christian Schuster