Paul Juon
* 23. Februar 1872
† 21. August 1940
Trio [Nr.1] a-moll op.17
Komponiert: | Berlin, um 1900 |
Uraufführung: | ? Krefeld, Königsburg, 10. Juni 1902 (38. Tonkünstlerfest des ADMV) Otto Neitzel (1852-1920), Klavier Carl Halir (1859-1909), Violine Hugo Dechert (1860-1923), Violoncello |
Erstausgabe: | Schlesinger, Berlin, 1901 |
Das erste von insgesamt sechs Klaviertrios Paul Juons wurde 1901 in Berlin vollendet; es bildet in gewissem Sinne den Höhepunkt und Abschluß der „russischen“ Periode Juons. Vor allem in den Ecksätzen herrscht der Ton des ostslawischen Volksliedes mit all seinen Charakteristika (Quarten- und Quintenmotivik, modale Harmonik usw.) völlig unangefochten.
Der erste Satz (Allegro, a-moll) spielt mit zwei kontrastierenden Varianten ein und des selben Themas in verschiedener rhythmischer Gestalt. Das Seitenthema und die daraus entwickelte Codetta versucht erst gar nicht, sich dem Übergewicht dieses Hauptthemas entgegenzustellen: es besteht aus kleinräumigen, tänzerischen Motiven, die auf elegante Weise kontrapunktisch verflochten werden. Dieses etwas ungewöhnliche dramaturgische Verhältnis zwischen Haupt- und Seitenthema wird noch durch die unerwartete Tonart der Seitenthemengruppe (G-Dur) akzentuiert; freilich ist auch das „a-moll“ des Hauptthemas viel eher ein slawischer Volksliedmodus, sodaß das Tonartverhältnis sich ganz ungekünstelt aus dem thematischen Material ergibt. Von diesen Besonderheiten abgesehen entwickelt sich der Satz ganz streng nach den Regeln der Sonatenhauptsatzform.
Das Adagio non troppo (C-Dur) kombiniert ein modal gefärbtes Liedthema mit recht verblüffenden Gegenstimmen und schließlich mit einem hochromantisch chromatisierten Nebengedanken, der in fast theatralische Deklamation mündet. Diese mitunter irritierende Ambivalenz der musikalischen Sprache, in der Schlichtheit und Pathos so eng ineinander verwoben sind, ist ganz typisch für die Epoche und gehört zu jenen Stilmerkmalen, die die Übertragung des Begriffes „Jugendstil“ auf die Musik als gerechtfertigt erscheinen lassen.
Ein Rondo (Allegro, a-moll/A-Dur) bildet den Abschluß des in seinen Dimensionen und Formen bewußt knapp gehaltenen Werkes. Auch in diesem tänzerischen Kehraus herrscht wieder ein unbekümmert folkloristischer Ton; das Ritornell ist (bei völliger Änderung des Grundcharakters) in Modus und Duktus aus dem Hauptthema des ersten Satzes entwickelt. Von den beiden Episoden ist die erste ganz „à la Borodin“ erfunden, während die zweite auf eine walzerselige Apotheose hin angelegt ist, die in der Coda durch widerspenstige Ritornell-Zitate nicht gestört, sondern nur noch gesteigert wird.
© by Claus-Christian Schuster