Karl Schiske
* 12. Februar 1916
† 16. Juni 1969
Sonatine op.34 (1952)
Komponiert: | Wien, (Skizze), St. Johann/Pongau, Salzburg, Mai 1951, August – 17. September 1952 |
Widmung: | Ilse Leeb |
Uraufführung: | Wien, Musikverein, Brahms-Saal, 19. März 1953 Roubicek-Trio [II] Erich Roubicek, Klavier Mario Beyer, Violine Ernst Knava, Violoncello |
Erstausgabe: | Doblinger, Wien, 1956 |
Karl Schiske, dessen 25. Todestages wir heuer gedenken, ist unstreitig einer der Großen der österreichischen Musik des XX. Jahrhunderts – doch auch unbestrittene Größe schützt nicht vor Vernachlässigung, wenn keine einflußreiche und mächtige Lobby die Werkpflege betreibt. So kommt es, daß Schiskes Werk – 5 großangelegte Symphonien, das ergreifende Oratorium „Vom Tode“ (1946), ein Violin- und ein Klavierkonzert, hervorragende Klavier- und Kammermusik – im Musikbetrieb bei weitem nicht so präsent ist, wie es sein Rang und Gewicht erwarten ließen. Trotzdem ist Schiskes Vermächtnis auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tode im österreichischen Musikleben auf dezente Weise omnipräsent – nämlich im Werk seiner zahlreichen Schüler, einer ganzen Plejade namhafter österreichischer Komponisten: Eröd, Grünauer, Kaufmann, Kahowez, Neuwirth, Schwertsik, Urbanner, Zykan…
Schiske hatte schon unmittelbar nach Kriegsende die Arbeit an einem Klaviertrio begonnen; eine Skizze in der Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek zeigt, daß aus diesem Trioentwurf schließlich das Oratorium „Vom Tode“ hervorwuchs – übrigens ein weiterer Hinweis auf das Fortwirken der Tradition, dem Klaviertrio Totenklage anzuvertrauen (Smetana, Dvorak, Tschaikovskij, Rachmaninov, Schosta-kowitsch etc.). Als der Komponist aber einige Jahre später sich wieder dem Genre zuwandte, verfolgte er ganz andere Ziele. Er schreibt dazu:
„Die Sonatine für Violine, Violoncello und Klavier op.34 ist in den Jahren 1951/52 gleichzeitig mit dem Violinkonzert entstanden. Neben diesem Konzert und nach meiner klanglich und formal groß angelegten III.Symphonie hatte ich das Bedürfnis, mit sparsamen Mitteln wieder eine richtige Kammermusik zu schreiben, die auch formal knapp und übersichtlich sein sollte. Außerdem trug ich mich schon lange mit dem Plan, nach der Komposition von zwei Streichquartetten, einem Bläserquintett, einem Sextett, einem Trio für Klarinette, Trompete und Bratsche und verschiedenen Duos auch einmal die Möglichkeit des Klaviertrios zu nützen – und zwar unter möglichst gleichmäßiger Ausnützung aller drei Instrumente, ohne klangliche Vorherrschaft des Klaviers durch Vollgriffigkeit des Satzes und ohne Degradierung des Cellos zum Baß-Instrument.
Aus diesen Prinzipien resultiert die diesem Werk eigene Verschmelzung von polyphonen Formen mit der Sonatenform; sie wird von allen drei Sätzen gemeinsam gebildet:
Der 1. Satz (Andante), eine Invention, bildet die Sonaten-Exposition.
Der 2. Satz (Allegro), ein Scherzo, ist die Sonaten-Durchführung.
Und der 3. Satz (Adagio), eine neuartige „Variationenfuge“ – in der das Thema immer gleich in allen seinen vier Gestalten (Thema, Krebs, Umkehrung, Krebs-Umkehrung) durchgeführt wird und die vom Höhepunkt in der Mitte an pyramidenförmig im Spiegel zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt – erfüllt die Funktion der Sonaten-Reprise.
Aber die ganze Konstruktion ist nicht Selbstzweck, sondern dem Musiker eine ordnende formale Basis für sein Musizieren und dem Hörer ein Bogen, der die Vielfalt der Details zu einer höheren Einheit binden soll.“
Die kristalline Klarheit dieser Architektur hätte bei einem Geringeren vielleicht ein musikalisch anämisches und rein spekulatives Gebilde ergeben – doch bei Schiske ist jeder Takt so sehr von lebendigem Klangsinn und musikantischer Vitalität erfüllt, daß sogar die gleichsam verborgenen „Sinnspiele“ zwingend und natürlich erscheinen. So ist etwa der Bau des letzten Satzes durch Zahlensymbolik mitbestimmt, indem seine 81 Takte in der durch Takt 41 verlaufenden Spiegelachse ihren Höhepunkt erreichen (81 steht hiebei gemäß einem schon im Barock angewendeten Verschlüsselungssystem für „K.SCHISKE“: 10+18+3+8+9+18+10+5=81, 41 für „I.S.BACH“: 9+18+2+1+3+9=41). Die konsequente Ableitung des gesamten Materials aus dem dreitaktigen Inventionsthema des ersten Satzes mit seinen charakteristischen Septimen und Quarten erschließt sich dem Hörer in ihrem ganzen konstruktiven Raffinement zwar erst beim genauen Studium, vermittelt aber schon beim ersten Anhören das bestimmte Gefühl zwingender Logik. Ähnlich wie Luigi Dallapiccola mit seinem (im selben Jahr enstandenen) „Quaderno musicale per Annalibera“ hat Schiske in seiner Sonatine in zeitlos gültiger Form dargelegt, daß Kalkül und Inspiration in solchen Glücksfällen einander zu steigern vermögen.
© by Claus-Christian Schuster