Vytautas Barkauskas
* 25. März 1931
Modus vivendi op. 108 (1996)
Schon ein Jahr vor seinem Studienabschluß in der Kompositionsklasse
von Antanas Račiunas hat Vytautas Barkauskas 1958 ein Klaviertrio
verfaßt, das er in der Folge – wie alle anderen vor 1964 entstandenen
Kompositionen – aus seinem Werkekatalog eliminiert hat. Erst 1990
stellte er sich wieder einer vergleichbaren Aufgabe, als er ein Trio für
die von Bartóks Contrasts (1938) geadelte Instrumentenkombination
Klavier, Klarinette und Geige vorlegte (op. 92). Die Parallele zu dem
großen Ungarn ist kein Zufall: Barkauskas ist auf den Tag genau fünfzig
Jahre nach Bartók geboren und hat ihn sich gewissermaßen zum
„Namensheiligen“ gewählt. Der skizzierte undogmatische modus creandi unseres Komponisten bewährt sich in dem sechs Jahre später entstandenen Klaviertrio Modus vivendi
für die „klassische“ Triobesetzung in besonders überzeugender Weise.
Barkauskas begann die Komposition an seinem 65. Geburtstag, und den
autobiographischen Unterton des Werkes, das gleichzeitig Rückblick und
Bekenntnis ist, kann man nicht überhören. Die verwendeten Zwölftonreihen
haben keinerlei Mühe, sich in das von ihnen weitestgehend unabhängige
Leben des Werkes einzufügen – nirgendwo entsteht der Eindruck
„konstruktiver“ Anstrengung. Wie von selbst fügen sich Reihenfragmente
zu flächigen Ostinati, die zu wechselnden tonalen Zentren gravitieren,
ohne die Vorherrschaft des „Grundtones“ A (für den Komponisten ein
Tonsymbol seiner Frau Svetlana) zu unterminieren. Diesem Ausgangston der
Reihe steht mit dem Endton D eine Chiffre für den Komponisten selbst
gegenüber. Barkauskas´ Idiom kennt weder historische Berührungsängste
(etwa im Zitieren „impressionistischer“ Texturen) noch gekünstelte Scheu
vor dem tonalen Substrat – im Gegenteil versteht es, sich die in ihm
tradierte Kommunikationskraft (etwa in der leitmotivischen Verwendung
des Zusammenklanges eines Dur- und Mollakkordes im Halbtonabstand, der
in den Tönen 1-6 der Reihe schon präformiert erscheint) zunutze zu
machen. Barkauskas hat mit diesem Werk bewiesen, daß die einander
etliche Jahrzehnte hindurch unversöhnlich gegenüberstehenden Idiome der
Musik schon längst einen fruchtbaren modus vivendi gefunden haben.