Ignaz Brüll
* 7. November 1846
† 17. September 1907
Trio Es-Dur op.14
Komponiert: | Wien, 1863 |
Widmung: | Franz Ries (Geiger, später Verleger, 1846-1932) |
Uraufführung: | Wien, Musikvereinssaal (Tuchlauben 12), 24. Jänner 1864 Ignaz Brüll, Klavier Joseph Hellmesberger sen. (1828-1893), Violine Carl Schlesinger, Violoncello |
Erstausgabe: | Leuckart, Leipzig, 1876 |
Als
Ignaz Brüll noch nicht ganz vier Jahre alt war, übersiedelten seine
Eltern aus der kleinen mährischen Provinzstadt Prosenice (Proßnitz) nach
Wien. Mit zehn wurde er hier Klavierschüler von Julius Epstein, der
später genauso wie Brüll zum engsten Freundeskreis von Johannes Brahms
zählen und auch Gustav Mahler unterrichten sollte. Als Ignaz mit elf zu
komponieren begann, verhalf ihm Epstein zu geregeltem
Kompositionsunterricht (bei Johann Rufinatscha und Otto Dessoff). Seine
Fortschritte waren so beachtlich, daß Joseph Hellmesberger eine Sonate
des gerade dreizehnjährigen „Nazi“ in ein Konzertprogramm aufnahm. Ein
Jahr darauf spielte der Knabe Anton Rubinstein vor, dessen
enthusiastisches Urteil den Ausschlag für die Entscheidung zur
Musikerlaufbahn gab. In die gleiche Zeit fällt der Beginn seiner
Freundschaft mit Carl Goldmark. Bei einem Sommeraufenthalt in
Franzensbad lernt Ignaz den nur wenig älteren David Popper kennen und
schreibt eine Cellosonate für ihn.
In den Erinnerungen der Schwester an die Zeit der Entstehung des Klaviertrios entsteht ein gründerzeitliches Idyll:
„In der Stadt wohnten wir ungefähr zehn Jahre in der Domgasse. Ignaz
hatte dort am anderen Ende der Wohnung ein stilles, freundliches
Arbeitszimmer. Vor dem einen, dicht mit Musselin verhängten Fenster
stand das Klavier, daneben ein Diwan und Tisch, in der Ecke die Venus
von Milo, und in der anderen Ecke beim zweiten Fenster stand sein
Schreibtisch, setwärts davon eine Etagere mit Noten und Büchern. Da
arbeitete er den ganzen Tag; kam aber die Dämmerstunde, so schlich ich
mich hinein, um die brausenden Tonwellen über mich ergehen zu lassen. Da
spielte er Beethoven, Bach, Schumann, Schubert, Liszt, Chopin – alle
lernte ich dadurch kennen und lieben. Nie war ich so stolz, aber auch so
ängstlich, als wenn er rief: „Minni, komm, ich geb dir rasch eine
Stunde!“ (ich nannte es eine 10-Minuten-Stunde), und nie so gekränkt,
als wenn er meine Schwester öfter als mich vornahm…“
In diesem Ambiente komponierte der Siebzehnjährige sein Klaviertrio, das
Hellmesberger in einer seiner Quartett-Soireen im Musikverein
uraufführte – und das später auch von Joesph Joachim und Arnold Rosé ins
Repertoire aufgenommen wurde, ehe es um die Jahrhundertwende allmählich
in Vergessenheit geriet.
Das Werk ist eine erstaunliche Talentprobe: es ist klar formuliert, gut
instrumentiert und hat eine ganze Reihe wirklich schöner Momente
aufzuweisen, denen zu liebe man gerne über die wenigen unbestreitbaren
Schwächen (etwa in der Dramaturgie des Finales oder dem etwas
stereotypen Umgang mit der Sonatenhauptsatzform) hinwegsieht.
Der erste Satz (Allegro moderato, Es-Dur) ist ganz durchpulst von der
über einer chromatisch fallenden Linie und fernem Tremolo feierlich und
stolz dahinschreitenden Gestik des Hauptthemas, dessen Übergewicht die
Zuhilfenahme von gleich drei (sehr knapp gehaltenen) Seitenthemen
rechtfertigt. An die kurze Durchführung schließt sich eine ganz dem
Expositionsablauf folgende Reprise an, die in eine konzise Coda mit der
sieghaften Bestätigung des Hauptmotivs mündet.
Im zweiten Satz (Andante, b-moll) finden sich einige an Dvorak
gemahnende Züge; einem elegischen Liedthema werden zwei Nebengedanken
gegenübergestellt – ein trotzig drängender und ein beschwingt
schwebender. Die ersten Takte der Reprise führen zu einer ganz kurzen,
kadenzartigen Abschweifung, die die Stelle einer Durchführung vertritt.
In der Coda wird das Liedthema ein letztes Mal mit schmerzlicher
Betonung und Ausweitung der Schlußwendung rekapituliert.
Glanzstück des Werkes ist wohl der dritte Satz (Scherzo. Allegro,
b-moll), der auf sehr wirkungsvolle, aber ungekünstelte Weise mit dem
übermäßigen Sekundschritt der harmonischen Molltonleiter spielt. Das
Trio greift eine Schubertsche Instrumentationsidee auf (Thema im
Klavierdiskant, begleitendes Pizzicato der Streicher).
Wie nicht selten bei Jugendwerken ist auch hier das Finale (Allegro,
Es-Dur) am wenigsten ausgegoren. Das marschartige Hauptmotiv ist aus dem
Hauptthema des ersten Satzes entwickelt, auch hier sind ihm wieder
mehrere Seitenthemen gegenübergestellt. Die Mitte des Satzes nimmt ein
kurz angedeutetes Fugato ein, an das sich wieder eine getreue Reprise
und eine effektvoll inszenierte Coda schließt.
Brüll bewahrte „Vater“ Hellmesberger, der das Werk aus der Taufe hob,
immer die Freundschaft – auch wenn dieser seiner spitzen Zunge dem
„Nazl“ gegenüber freien Lauf ließ. Berühmt wurde der Satz, mit dem
Hellmesberger die Herren Ignaz Brüll und Anton Door Camille Saint-Saens
vorstellte:
„C’est Monsieur Brüll, qui dort toujours.
C’est Monsieur Door, qui brille jamais.“
Das von der Schwester in ihrem Erinnerungsbuch beschworene harmonische
Zusammenleben der Familie provozierte Hellmesberger zu der Behauptung,
Brülls langgehegter Plan, eine Modulation von C-Dur nach Ges-Dur zu
wagen, sei nicht zur Ausführung gelangt, weil der Familienrat sich
dagegen gestellt habe. Nach dem großen Erfolg von Brülls erster Oper
(„Das goldene Kreuz“, 1875) bezeichnete Hellmesberger den Komponisten
gar als „Nationalgenie“ – wollte das aber als „Nazi ohn‘ all‘ Genie“
geschrieben haben. Doch Brüll, der ein ebenso gutmütiger wie
bescheidener Mensch war, konnte solchen Scherz sehr wohl vertragen.
Diese Qualität machte ihn Brahms ganz besonders angenehm; denn auch in
Brahms‘ Nähe mußte man mit manchen Derbheiten rechnen. Als Brahms die
erste private Aufführung des Klaviertrios op.87 (25. August 1882 in der
Villa von Prof. Ladislaus Wagner in Alt-Aussee) vorbereitete, ließ er
Brüll aus dem Manuskript vortragen und gab den gespannt Zuhörenden das
neue Opus als Werk Brülls aus – nur um sich am ungläubigen Staunen der
Anwesenden zu weiden. Daß Brahms Brüll als Musiker aber wirklich
schätzte, steht außer Zweifel: er vertraute ihm die Uraufführung der
Klavierstücke op.76, op.116/1-3 und op.119/2 an, und es war ihm immer
ein „rechtschaffenes Pläisir“ mit Brüll die vierhändigen Fassungen
seiner Orchesterwerke zu spielen.
© by Claus-Christian Schuster