Willy Burkhard
* 17. April 1900
† 18. Juni 1955
Der Sonntag. Kantate nach Worten von Jeremias Gotthelf für mittlere Stimme mit Begleitung von Violine, Cello und Klavier. Op.63
Komponiert: | Davos, November – Dezember 1941 |
Uraufführung: | Zürich, 23. Oktober 1942 Max Christmann, Bariton Walter Frey, Klavier Walter Kaegi, Violine Albert Nicolet, Violoncello |
Erstausgabe: | Bärenreiter-Verlag, Kassel, 1944 |
Willy Burkhard wurde zwar im gemischtsprachigen Gebiet am Bieler See
geboren, seine Familie stammt aber aus dem bernischen Oberaargau
(Schwarzhäusern bei Aarwangen). Sein Vater, Graveur und Kupferstecher,
wurde 1902 als eidgenössischer Beamter nach Bern berufen, wo Burkhard
seine Kindheit und Jugend verbrachte. Dort wurde der Knabe im
traditionsreichen Seminar Muristalden, dessen „Musterschule“ er
absolvierte, bevor er das Lehrerseminar selbst bezog, in betont
evangelisch-pietistischem Geist erzogen. 1920 schloß er seine dortige
Ausbildung mit dem Lehrerpatent ab. Obwohl Burkhard in seinem späteren
Leben keine enge konfessionelle Bindung hatte, wird die religiöse
Gestimmtheit dieser Erziehung in seinem kompositorischen Werk
unüberhörbar nachklingen.
Weit weniger geradlinig war Burkhards musikalischer Werdegang: Nach
erstem Klavierunterricht verhalf Ernst Graf, der Organist des Berner
Münsters, dem angehenden Komponisten 1919 zur Aufnahme in das Berner
Konservatorium, wo Burkhard aber nur drei Semester lang blieb. Bei dem
Organisten Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) und dem Pianisten Robert
Teichmüller (1863-1939) setzte er danach seine Studien für kurze Zeit
(1921/22) am Leipziger Konservatorium fort; aber erst in der
darauffolgenden Münchner Zeit, als der Schweizer Walter Courvoisier
(1875-1931), Schwiegersohn und Nachfolger Ludwig Thuilles als Haupt der
sogenannten „Münchner Schule“, sein erster Kompositionslehrer wurde,
begann seine eigentliche schöpferische Laufbahn. In München und während
eines mehrmonatigen Studienaufenthaltes in Paris (Februar bis Mai 1924)
entstanden die ersten Werke, Klavier- und Vokalkompositionen, die zum
größten Teil Manuskript blieben. Obwohl das französische Intermezzo (in
Paris war Burkhard Student des Rompreisträgers Max d´Ollone [1875-1959])
den Horizont des jungen Komponisten nicht unwesentlich erweiterte,
blieben Burkhards deutsche Zeitgenossen seine Leitsterne. Das erwies
sich besonders deutlich, als er, wieder nach Bern zurückgekehrt, hier
und in Thun zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Fritz Indermühle
(der schon in Leipzig und München sein Studienkollege gewesen war) 1931
und 1932 bemerkenswerte „Singtreffen für zeitgenössische Musik“
organisierte, in deren Mittelpunkt das Vokalschaffen von Heinrich
Kaminski (1886-1946) und Paul Hindemith (1895-1963) stand; bei dieser
Gelegenheit wurden auch etliche Kompositionen Burkhards uraufgeführt.
Nachdem Burkhard schon 1926, im Jahr seiner Heirat, die Leitung des
Lehrergesangvereins Lyß übernommen hatte und 1928 als Lehrer an das
Berner Konservatorium berufen worden war, nahm er 1930 auch noch den
neugegründeten Berner Münsterchor und den Chor der Berner Singstudenten
sowie 1932 den Orchesterverein Langenthal unter seine Obhut.
Diese immer weitere Kreise ziehende Tätigkeit wurde im Sommer 1933 jäh
unterbrochen: im Kampf gegen eine diagnostizierte Lungentuberkulose
mußte Burkhard sich mehreren schweren Operationen unterziehen. Die dem
Komponisten verbleibenden zweiundzwanzig Lebens- und Schaffensjahre
sollten fast zur Gänze im Schatten des erfolglosen Kampfes gegen die
Krankheit stehen. Nachdem der Aufenthalt in einem Sanatorium in Montana
keine Heilung gebracht hatte, übersiedelte die Familie 1934 nach
Bühlikofen bei Zollikofen, von wo aus Burkhard für kurze Zeit seine
Lehrtätigkeit in Bern wieder aufnehmen konnte. In dieser Zeit entstand
das (später von Paul Sacher uraufgeführte) geistliche Oratorium Das
Gesicht Jesajas, ein Schlüsselwerk des Komponisten; auch der erste große
internationale Erfolg Burkhards, die Uraufführung seiner Fantasie für
Streichorchester auf dem denkwürdigen IGNM-Fest in Prag (1935) fällt in
diese Monate. Doch schon Ende 1935 erzwang ein Rückfall die Rückkehr
nach Montana, von wo aus die Familie Burkhard im Sommer 1937 – nach
kurzen Intermezzi in Ascona und Clavadel – nach Davos weiterzog. Hier
mußte der Komponist im darauffolgenden Winter drei schwere Operationen
überstehen. Bis zu seiner Berufung an das Züricher Konservatorium (1942)
blieb Davos Burkhards Wohn- und Arbeitsstätte. Hans Zurlinden, der –
von Arthur Honegger auf Burkhard aufmerksam gemacht – ihn in dieser Zeit
kennenlernte und später sein erster Biograph werden sollte, schreibt
über die Begegnung:
„Ich erinnerte mich wieder der Worte Honeggers, als ich selber in einem
Davoser Sanatorium liegen mußte. Aber ich fragte längere Zeit nicht nach
Burkhards Adresse, da ich nicht ausgehen konnte. Als es dann geschah,
erfuhr ich, daß Burkhard unmittelbar gegenüber meinem Fenster eine
Mietwohnung in dem großen Hause innehatte, das mit seinen ockergelben
Fassaden, dunkelgrüngestrichenen Fensterrahmen, Laubengeländern und
Dachgiebeln, am steilen Abhang mitten unter hohen Tannen, im tiefen
Schnee, mir immer wie das Jagdhaus eines deutschen Duodezfürsten
vorgekommen war. Indessen verzögerte sich mein Besuch noch einmal, weil
es schließlich eine große Überwindung kostet, zu einem fremden Menschen
hinzugehen, und ihm zu sagen: «Ihre Musik hat mir gefallen!»
In zwei Wintern war ich dann öfters Gast in dem geräumigen, einfach
eingerichteten Heim, am runden Tisch in der Ecke des weiten lichten
Arbeitszimmers und fühlte mich wohl in der glücklichen Häuslichkeit des
Ehepaars und seiner beiden Kinder. Ich erinnere mich gerne an viele
kleine Hauskonzerte, bei denen Frau Burkhard sang, Hans Sturzenegger,
der Bruder des Berner Cellisten, Geige spielte, an Hörgelegenheiten am
Radio, an Spaziergänge, an Gespräche über Kants Erkenntnistheorie, über
Hamsuns «August», über den Logosbegriff des Johannesevangeliums, über
Jacob Burckhardts «Weltgeschichtliche Betrachtungen», über politische
Zeitereignisse, wobei Burkhard treffsicherer als mancher zünftige
Diplomat urteilte…“
Es mag bei einer jener hausmusikalischen Zusammenkünfte, von denen
Zurlinden hier berichtet, gewesen sein, daß Burkhard den Plan zu der
Kantate Der Sonntag faßte, die er – als vorletztes Werk seines Davoser
Aufenthaltes – Ende 1941 niederschrieb. Schon zehn Jahre früher, knapp
vor dem Ausbruch seiner Krankheit, hatte er sich in diesem Genre
versucht. Während er aber in der 1932 komponierten Kantate Herbst für
Sopran und Klaviertrio (op. 36) Lyrik von Christian Morgenstern vertont
hatte, unternahm er mit der neuen Kantate ein Wagnis, das manche als von
vornherein zum Scheitern verurteilt betrachten werden: die Vertonung
eines Fragmentes aus einem epischen Prosatext. Daß Burkhards Wahl gerade
auf einen Text von Jeremias Gotthelf fiel, nämlich auf die
Einleitungspassage aus dem 2. Kapitel des Romans Wie Uli der Knecht
glücklich wird, mag damit zu tun haben, daß man 1941 gerade den
hundertsten Geburtstag dieses Hauptwerkes des ebenso bemerkenswerten wie
„unzeitgemäßen“ Schweizer Dichters feierte. (Der im Herbst 1840
entstandene Romane war 1841 im Verlag von Christian Beyel in Frauenfeld
erschienen.) Die Entscheidung widerspiegelt aber gleichzeitig eine
lebenslange Anhänglichkeit des Komponisten an den Dichter; Burkhards
einzige Oper, Die schwarze Spinne (1947/48), die er noch in seinem
letzten Lebensjahr als Schauspielmusik kammermusikalisch bearbeitete,
ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Jeremias Gotthelf. Daß
aber diese Wahl das Wagnis verringert habe, kann man sicher nicht
behaupten. Hatte schon Gotthelfs eigenwilliger Roman mit seiner
prononciert moralischen und religiösen Tendenz heftige Reaktionen (nicht
zuletzt in einflußreichen kirchlichen Kreisen) hervorgerufen, so
erntete der Versuch, dieser Vorlage Musik abzugewinnen, unverhohlene
Feindseligkeit und Gehässigkeit. Ein Kritiker der Uraufführung nennt die
Unterlegung von „ganz blutarmer, häßlicher und klanglich öder Musik“
unter die Gotthelfsche Prosa geradezu eine „Verballhornung und
Entgleisung“. Die Vehemenz dieser Ablehnung hat wohl damit zu tun, daß
Burkhard ebenso wie Gotthelf ein übermächtiges religiöses Empfinden, das
deutlich pantheistische Züge trägt, mit scheuer, fast spröder
Schlichtheit zu bändigen sucht. Dieser Zusammenklang von Schwärmerei und
Schmucklosigkeit macht die Problematik, aber auch den unleugbaren Reiz
des Werkes aus.
Burkhard gliedert den kurzen Text in drei Abschnitte, die alle in den
E-Dur-Dreiklang münden; die tonsymbolische Bedeutung dieser Chiffre
steht dabei ganz in der klassischen Tradition, in der dieser Tonart
gleichzeitig hymnisch-religiöse („In diesen heil´gen Hallen“) und
naturpoetische („Soave sia il vento“) Funktionen zufallen. Wer für diese
Anspielungen empfänglich und offen ist, wird vielleicht doch eher mit
dem Urteil eines anderen Kritikers der Uraufführung übereinstimmen, daß
nämlich „die kraftvolle, bodenwüchsige Prosa Gotthelfs, diese gesunde
Hymnik mit Erdgeruch, in der Vertonung Burkhards ein musikalisches
Gewand erhalten habe, das ihr in der bündigen, das Parlando nicht
verschmähenden Sprache, aber auch in der religiösen Innerlichkeit
gleichgestimmt ist.“
Jeremias Gotthelf:
Wie Uli der Knecht glücklich wird
2. Kapitel: Ein heiterer Sonntag in einem schönen Baurenhause
Der Sonntag kam am Himmel herauf, hell, klar, wunderschön. Die
dunkelgrünen Gräslein hatten mit demantenen Kränzlein ihre Stirnen
geschmückt und funkelten und dufteten als süße Bräutlein in Gottes
unermeßlichem Tempel. Tausend Finken, tausend Amseln, tausend Lerchen
sangen die Hochzeitlieder; weißbärtig, ernst und feierlich, aber mit den
Rosen der Jugend auf den gefurchten Wangen, sahen die alten Berge als
Zeugen auf die holden Bräutlein nieder, und als Priesterin Gottes erhob
sich hoch über alle die goldene Sonne und spendete in funkelnden
Strahlen ihren Hochzeitsegen.
Der tausendstimmige Gesang und des Landes Herrlichkeit hatten den Bauer
früh geweckt, und er wandelte andächtigen Gemütes dem Segen nach, den
ihm Gott beschert hatte. Er durchging mit hochgehobenen Beinen und
langen Schritten das mächtige Gras, stund am üppigen Kornacker still, an
den wohlgeordneten Pflanzplätzen, dem sanft sich wiegenden Flachse,
betrachtete die schwellenden Kirschen, die von kleiner Frucht starrenden
Bäume mit Kernobst[, band hier etwas auf und las dort etwas Schädliches
ab] und freute sich bei allem nicht nur des Preises, den es einsten
gelten, nicht nur des Gewinnes, den er machen werde, sondern des Herren,
dessen Güte die Erde voll, dessen Herrlichkeit und Weisheit neu sei
jeden Morgen. Und er gedachte: wie alles Kraut und jedes Tier jetzt den
Schöpfer preise, so sollte es auch der Mensch tun, und mit dem Munde
nicht nur, sondern mit seinem ganzen Wesen, wie der Baum in seiner
Pracht, wie der Kornacker in seiner Fülle, so der Mensch in seinem Tun
und Lassen.
„Gott Lob und Dank!“ [dachte er,] „ich und mein Weib und meine Kinder,
wir wollen dem Herren dienen [, und er braucht sich unser nicht zu
schämen. Wir sind wohl auch arme Sünder und haben nur einen geringen
Anfang der Gottseligkeit, aber wir haben doch ein Herz zu ihm und
vergessen ihn nie einen ganzen Tag lang und essen nichts, trinken
nichts, daß wir ihm nicht danken, und nicht nur mit Worten, sondern von
Herzensgrund.“]
© by Claus-Christian Schuster