Antonín Dvořák
* 08. September 1841
† 01. Mai 1904
Trio Nr.1, B-Dur op.21 [B 51]
Komponiert: | Prag, April-14. Mai? 1875, umgearbeitet 1877 und 1880 |
Uraufführung: | Prag, 17. Februar 1877 Karel Slavkovsky (1846-1919), Klavier Frantisek Ondricek (1857-1922), Violine Alois Sladek, Violoncello |
Erstausgabe: | Schlesinger, Berlin, 1880 |
Im September 1873 hatte Dvorák die Partitur seiner zur Aufführung beim Prager Interimstheater eingereichten Oper „Král a uhlír“ („König und Köhler“, B 21) zurückerhalten: das Werk sei unspielbar.
Für Dvorák, der seit seinem Ausscheiden aus dem Orchester des Interimstheaters (1871) als freischaffender Komponist in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt und gerade seine Hochzeit plant, muß diese Zurückweisung sehr schmerzlich gewesen sein: Denn, anders als für Schubert, dessen Opernprojekte zu nicht geringem Teil ein Zugeständnis an Konvention und Geschmack seiner Zeit waren, ist für Dvorák die Oper das zentrale Ziel seiner künstlerischen Ambitionen. Umso bezeichnender ist seine Reaktion auf diese empfindliche Niederlage: Nichts von gekränkter Eitelkeit, schmollendem Selbstmitleid oder weltverachtendem Stolz – dafür ein gesundes Maß an Selbstkritik, gepaart mit unbeirrbarer Konsequenz. Dvorák kommt zu dem Schluß, daß das Verdikt der Opernleitung nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. (Daß eben diese „unspielbare“ Erstfassung der Oper 1929 anläßlich des 25. Todestages des Komponisten doch noch uraufgeführt werden konnte, belegt ja nur, wie spielbar ein Werk ganz von selbst werden kann, wenn es nur einmal keinen unbekannten jungen, sondern einen hochberühmten verstorbenen Komponisten zum Vater hat.)
Und so macht er sich schon bald nach der Hochzeit mit seiner ehemaligen Schülerin Anna Cermáková (17. November 1873) an eine Neukomposition der verworfenen Oper.
In der Musikgeschichte hat es wohl selten einen produktiveren Mißerfolg als die Ablehnung des ersten Vertonungsversuches dieses (nicht eben genialen) Librettos gegeben. Der Vergleich der beiden Werke – es handelt sich wirklich um zwei völlig unabhängige Werke, nicht um verschiedene Fassungen – zeigt, daß Dvorák mit seinem zweiten „Král a uhlir“ (B 42), der schon am 24. November 1874 im Interimstheater uraufgeführt werden kann, eine entschiedene und folgenreiche Wende vollzogen hat. Dvoráks „verrückte Periode“ (so die Selbsteinschätzung des Komponisten gegenüber seinem ersten Biographen Josef Zubaty), in der Wagner und Liszt seine Leitsterne waren, ist damit unwiderruflich zu Ende, und der Weg zu Dvoráks eigenem Selbst frei.
Dieser befreiende Durchbruch war durchaus nicht mit einem Vatermord verbunden – Wagner und Liszt bleiben auch weiterhin Gegenstand von Dvoráks Bewunderung, und das Echo dieser Bewunderung bleibt noch lange in seinen Partituren vernehmbar. Doch von nun an fließen die Quellen seiner immer schon überreichen Schaffenskraft freier, klarer und kräftiger: Noch 1874 beendet er seine erste komische Oper („Tvrdé palice“, „Die Dickschädel“, B 46), und im März 1875 entsteht die erste Serie jener mährischen Duette („Moravské dvojzpevy“/ „Klänge aus Mähren“, B 50), die kurz darauf das Interesse von Johannes Brahms erwecken werden.
Schon im Schaffen der „verrückten Periode“ Dvoráks hatte die Kammermusik einen hervorragenden Platz eingenommen: Zwischen 1862 und 1873 vollendete er nicht weniger als sechs Streichquartette, und etwa gleichzeitig mit der Erstkomposition von „Král a uhlír“ entstanden 1870/71 die heute verschollenen ersten beiden Klaviertrios („op.13″, B 25-26) sowie im Sommer 1872 das erste Klavierquintett (op.5, B 28).
Aber auch auf diesem Gebiet ist erst mit der Neuorientierung von 1874 der Bann gebrochen: Im September schreibt Dvorák innerhalb weniger Tage das Streichquartett a-moll (op.16, B 45), das er als erstes im Druck erscheinen läßt; das neue Jahr wird mit der Komposition eines Streichquintetts mit Kontrabaß (G-Dur, op.77, B 49) begonnen, und im Frühling entstehen in wenigen Wochen unser Klaviertrio und das erste Klavierquartett (D-Dur, op.23, B 53), zwischen die sich, als eine Art erweiterter Kammermusik, die unverwüstliche Streicherserenade (E-Dur, op.22, B 52) – bis heute eines der populärsten Werke des Meisters – drängt.
Eine bis heute nicht endgültig beseitigte Unsicherheit betreffend die genaue Entstehungszeit unseres Klaviertrios hat eben mit dieser eruptiven Produktivität zu tun: Das Ende des letzten Satzes datiert Dvorák im Autograph mit dem 14. Mai 1875 – dem selben Tag also, an dem auch die Streicherserenade op.22 vollendet wurde; es könnte sich dabei um einen (bei Dvorák etliche Male begegnenden) Datierungsfehler handeln – das Trio wäre in seiner ersten Fassung dann vielleicht schon am 14. April 1875 beendet worden.
Dvoráks erstes erhaltenes Klaviertrio steht in der Konzertpraxis ganz im Schatten der Folgewerke – eine verständliche, aber angesichts der großen Qualitäten des Werkes bedauerliche Tatsache. Zwar ist es in Hinblick auf die Beherrschung der Form und die Dramaturgie des Gesamtablaufes noch einen wesentlichen Schritt von dem schon im darauffolgenden Jahr komponierten zweiten Klaviertrio (g-moll, op.26, B 56) entfernt, doch werden diese äußerlichen Mängel durch die entwaffnende Aufrichtigkeit einer unverwechselbaren Diktion wettgemacht, deren Zauber man sich schwer entziehen kann. Besondere Beachtung verdienen die motivischen Verflechtungen und Querbezüge, die praktisch das gesamte thematische Material als verschiedene Manifestationen einer einzigen Grundidee erscheinen lassen; trotzdem fällt es nicht leicht, hier von „motivischer Arbeit“ zu sprechen – wenn es denn wirklich „Arbeit“ gewesen sein sollte, hat Dvorák uns jedenfalls gar nichts davon merken lassen.
Das Allegro molto wird von einem pentatonischen Thema eröffnet, an das sich der Komponist achtzehn Jahre später im Ritornell des Finales seines „Amerikanischen Quartetts“ (F-Dur, op.96, B 179) noch einmal erinnern wird – ein Umstand, der jenen Kommentatoren zu schaffen machen sollte, die das gesamte thematische Material dieses letzteren Werkes aus indianischen Volksliedern und Negro Spirituals ableiten wollen. Die Anfangstöne des Themas werden bald zu einer jener für Dvorák so typischen rhythmischen Ostinato-Begleitfiguren umgedeutet, auf deren Wellen sich ein aller formalen Verpflichtungen enthobenes Nebenthema schaukeln darf. Und eben jene unscheinbare Begleitfloskel wird schon im nächsten Schritt zur Keimzelle des den Satz von hier an beherrschenden Seitenthemas. An diesem Thema, dessen Charakter fortwährend zwischen tänzerischer Anmut und stürmischer Leidenschaft changiert, kann sich Dvorák gar nicht genug tun, und der Zuhörer, der ihm das übel nähme, wäre diesen Einfall nicht wert. Natürlich ist es nicht kindische Selbstverliebtheit, die Dvorák das Seitenthema so breit ausführen läßt: Die Durchführung wird ganz dem Hauptthema in seiner ursprünglichen Gestalt gehören, und dazu bedarf es eines Gegengewichtes. Im Gewoge der überaus farbenreichen Durchführung meint man manchmal, eine der Rheintöchter erspähen zu können, doch bevor uns solche Trugbilder ins Uferlose locken können, hat uns Dvorák schon durch einen wahren Triumphbogen in die Reprise weitergeführt. Hier zeigt sich dann plötzlich auch das stille Nebenthema von modulatorischer Abenteuerlust erfaßt, und es scheint fast, als wolle sich der Komponist die Extravaganz einer zweiten Durchführung leisten. Da etabliert sich aber das Seitenthema wieder als beherrschende Kraft, um auch noch in der Coda das letzte Wort zu behalten: Dieses letzte Wort ist aber keine Behauptung und kein Siegesruf, sondern eine stille Frage, auf die „alle Ratsherrn in der Stadt und alle Weisen der Welt“ stumm bleiben müssen – Dvorák wird aber mit dem zweiten Satz eine ganz unerwartete Antwort zu geben wissen.
Dieses Adagio molto e mesto (g-moll) ist nicht nur das Herzstück des ganzen Trios, sondern auch eine der berührendsten Eingebungen in Dvoráks Kammermusik. Die innige Klage des ersten Themas, die von weinerlicher Sentimentalität und tragischem Pathos gleich weit entfernt ist, strandet zweimal unerlöst an der Dominante, bis die Geige ihr den befreienden Ausweg weist. Es sind Momente wie dieser, an denen man erfahren kann, daß das Klaviertrio keine beliebige, nur durch Herkommen und Konvention legitimierte Instrumentenkombination ist, sondern daß seine Klangrealität einem schon a priori bestehenden Ausdrucksbedürfnis entspricht, das sich nur in dieser konkreten Gestalt manifestieren konnte. (Der hier wirksame Archetypus ist uns allen aus Märchen und Mythen von Kindheit an wohlvertraut.) Der endlich gefundene Ausweg führt uns über B-Dur nach Des-Dur/cis-moll und schließlich in das im Kontext des Satzes ebenso wie in dem des ganzen Werkes „irrationale“ A-Dur – die Tonart des zweiten Themas, dessen hoffendes Sehnen ja auch wirklich alle abwägende Vernunft hinter und unter sich läßt. Auch die andeutungsweise und fragmentarische Wiederkehr des Klagethemas (in fis-moll) kann die Macht dieses neuen Gedankens nicht brechen, der übrigens auf geheimnisvolle Weise mit dem Seitenthema des ersten Satzes verwandt und außerdem auf ähnliche Weise wie jenes aus dem vorangegangenen Thema abgeleitet ist. Auf dem Höhepunkt dieses sehnsüchtigen Drängens erscheint unvermittelt wieder das Nänienthema – und wieder ist der Geige das alles verwandelnde Wort anvertraut. Den Epilog des Satzes bildet die resignativ verdüsterte Vergrößerung dieses Themas, dessen Trauer (- Dvorák bedient sich hier des sehr starken Ausdrucksmittels der tiefalterierten zweiten Stufe -) auch durch die letzten Durakkorde nicht mehr aufgehellt werden kann.
Wie man unschwer erkennen kann, ist der Hauptteil des folgenden Allegretto scherzando (Es-Dur) auf kapriziöse Weise aus dem Klagethema des zweiten Satzes abgeleitet, und überhaupt scheint das ganze Stück keine wichtigere Aufgabe zu kennen, als die Schatten des vorangegangenen Satzes behutsam, aber entschlossen zu verjagen. Die zunächst nur vorsichtig tastenden und dann immer stürmischeren Modulationsschritte, die schließlich auch das letzte G-moll-Wölkchen vom Himmel gefegt haben, gehen Hand in Hand mit einer sehr freien Agogik, deren Verlauf Dvorák im Vertrauen auf seine Interpreten nur andeutet. Das Trio (in der Submediante H-Dur) verzichtet als einziger Teil des Werkes auf prägnante thematische Formulierungen – die in Klavier und Cello parallel falllende Melodielinie gewinnt eigentlich erst als Kontrapunkt des phantasievollen „Überschlags“ der Geige Bedeutung.
Dem Finale des Werkes (Allegro vivace) verdanken wir nicht nur eine ganze Reihe hübscher Einfälle, sondern darüber hinaus noch die Erkenntnis, daß es mitunter auch für Dvorák so etwas wie „das Kreuz mit dem letzten Satz“ gegeben haben muß. Nicht, daß der Satz an Ideenarmut litte – diese Sorge scheint Dvorák wirklich nie gekannt zu haben. Aber es ist nicht zu leugnen, daß die Stringenz der Dramaturgie, die die ersten drei Sätze des Werkes zu einer untrennbaren Einheit zusammenschmiedet, hier sehr viel schwächer wirkt. Dabei war der Komponist ganz offensichtlich um die Herstellung von Zusammenhängen bemüht: Schon die Tonarten des Incipits (c-moll – g-moll) beziehen sich unüberhörbar auf den Beginn des vorigen Satzes, und im Mittelteil des als freies Sonatenrondo konzipierten Finales kehrt das erste Thema des Adagios als Zitat wieder. Dvorák operiert in diesem Satz mit drei voneinander unabhängigen Ideen: Die erste hat den Charakter einer Introduktion und wird von ebenmäßigen Figurationen bestimmt, deren heimatloses Umherirren dem ganzen Abschnitt einen zögernd suchenden Unterton gibt ; das forsche zweite Thema – das als Hauptthema wirkt – scheint aus dem Sechsachteltakt mit aller Gewalt einen Marsch machen zu wollen, ein Bemühen, dem sich der dritte Gedanke – psychologisch das Seitenthema – mit tänzerischem Nachdruck entgegenstellt. Dieses letzte Thema wird als erstes gründlich durchgeführt – und in diese Durchführung schleicht sich dann auch das Nänienthema des zweiten Satzes ein. Der daran anschließenden Reprise der ersten beiden Gedanken folgt dann die Verarbeitung des Einleitungsthemas, bevor mit der Wiederaufnahme des dritten Themas die Reprise zu Ende geführt werden kann. In der Coda triumphiert dann das -unverarbeitet gebliebene – Marschthema, das jetzt seine Ambitionen ungehemmt ausleben darf, wozu Dvorák ihm als Spielfeld sogar einige Takte veritabler Polyrhythmik einräumt (Sechsachtel- versus Zweivierteltakt).
© by Claus-Christian Schuster