Ludwig van Beethoven
* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827
Trio B-Dur op.11 (“Gassenhauer-Trio”) [pf/cl/vlc]
Komponiert: | Wien, erste Hälfte 1798 |
Widmung: | Gräfin Maria Wilhelmine von Thun und Hohenstein, geb. von Uhlefeld (1744-1800) |
Uraufführung: | Uraufführung: nicht dokumentiert; Die früheste belegte Aufführung fand um 1800 im Palais des Reichsgrafen Moritz von Fries (Josefsplatz 5, heute Palais Pallavicini) statt; Pianist dieser Aufführung war Daniel Gottlieb Steibelt (1765-1823). |
Erstausgabe: | Mollo & Co., Wien, Oktober 1798 |
Mit diesem Werk hat Beethoven ein Genre begründet, das sich bis in
die Gegenwart als legitime Seitenlinie des „klassischen“ Klaviertrios
behauptet und bewährt hat. Die aparte Besetzungsidee trägt der in der
Entstehungszeit des Werkes stetig wachsenden kammermusikalischen
Bedeutung der Klarinette Rechnung, die sich ja auch im Mozartschen
Spätwerk niederschlägt (Quintett KV 452, Trio KV 498, Quintett KV 581).
Es besteht einiger Grund zu der Annahme, daß auch Beethoven – ähnlich
wie Mozart, Weber und Brahms – erst durch die Bekanntschaft mit einem
Klarinettisten zur Komposition jener drei Kammermusikwerke angeregt
wurde, in denen er mithalf, diesem Instrument den Weg aus der Orchester-
und Blasmusik in die Klavier- und Streicherkammermusik zu bahnen:
Jedenfalls fällt im Zusammenhang mit den frühesten dokumentierten
Aufführungen dieser Werke – des 1797 beendeten Quintetts op.16, unseres
Trios und des Septetts op.20 (1799/1800) – immer wieder der Name des
Klarinettisten Joseph Beer. Hierbei handelt es sich aber nicht, wie oft
angenommen, um den in Paris, St.Petersburg und Berlin erfolgreichen
böhmischen Virtuosen Johann Joseph Beer (1744-1812), der 1791 auf der
Durchreise in Wien mit Mozart musiziert hatte, sondern um dessen
jüngeren (Beinahe-) Namensvetter, der, im selben Jahr wie Beethoven
geboren, vielleicht bis 1794 in Wallerstein und danach als Mitglied der
Fürstlich Liechtensteinschen Hofkapelle in Wien wirkte (wo er 1819
starb).
In kaum einer Besprechung des Beethovenschen Opus 11, dem der
anbiedernde Beinamen „Gassenhauer-Trio“ anhaftet, wird auf Worte wie
„Gelegenheitskomposition“ oder „Gebrauchsmusik“ verzichtet. Es scheint,
als würden viele Zuhörer schon allein aus Beethovens Abweichen von der
Instrumentationsnorm des Klaviertrios einen – gegenüber der
programmatischen Emblematik der Trios op.1 – reduzierten Anspruch
ableiten. In Wahrheit bezeichnet aber dieses Werk einen weiteren Schritt
auf Beethovens singulärem Entwicklungsweg und verdient nicht nur wegen
seiner auch nach mehr als zweihundert Jahren noch immer ungebrochen
andauernden Popularität (die vielleicht die Zurückhaltung der
Musikwissenschaft herausfordert) besondere Beachtung.
Am Kopfsatz (Allegro con brio) läßt sich beispielhaft verfolgen, mit
welcher Akribie und Präzision Beethoven die Hörgewohnheiten und
Erwartungen seines Publikums zu irritieren und so die Aufmerksamkeit
beständig wachzuhalten versteht. Die Kritik des anonymen Rezensenten der
Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung, Beethoven „würde… viel
Gutes liefern…, wenn er immer mehr natürlich als gesucht schreiben
wollte“, zielt genau auf diesen Umstand ab. Daß sie den meisten heutigen
Hörern nur schwer nachvollziehbar sein wird, hat wohl in erster Linie
mit der Patina einer zweihundertjährigen Rezeptions- und
Interpretationsgeschichte zu tun. Aber „wörtlich genommen“ hat
Beethovens Text auch heute nichts von seiner pointierten und von den
Zeitgenossen gerügten „Gesuchtheit“ eingebüßt. Daß wir uns dabei nicht
mehr auf das (verschollene) Autograph berufen können, sondern uns mit
dem sicher fehlerhaften Erstdruck begnügen müssen, ist in diesem Falle
besonders schmerzlich; denn eine solche Häufung „unnatürlicher“ und
„unmusikalischer“, also dem liebgewordenen Herkommen entgegenlaufender
Details ist selbst bei Beethoven nicht alltäglich, und man kann fast
sicher sein, daß manches kostbare Detail der Routine des Stechers zum
Opfer gefallen ist. (Man sollte vielleicht daran erinnern, daß die
Erstausgabe in der Offizin jenes Tranquillo Mollo entstand, über dessen
Arbeit Beethoven anläßlich des Erscheinens der Streichquartette op.18
klagen wird: „das heiß ich stechen, in Wahrheit meine Haut ist ganz
voller Stiche und Rize – von dieser schönen Auflage…“ [an Hoffmeister
& Kühnel, 8. April 1802].)
Das folgende Adagio con espressione (Es-Dur) mutet wie eine seelenvolle
und gedankentiefe Schwester des leutseligen Es-Dur-Menuetts aus
Beethovens Septett op.20 an – das diesem zugrundeliegende
G-Dur-Klavierstück, das 1805 als Schlußsatz der Sonate facile op.49 Nr.2
erschien, ist jedenfalls vor unserem Trio entstanden. Der in schlichter
dreiteiliger Liedform gehaltene Satz entführt uns mit den wenigen
Takten seines Mittelteils in eine zutiefst romantische Klangwelt: Die
durchaus nicht unerhörte „neapolitanische“ Wendung (über Es-moll nach
E-Dur) bildet nur die harmonische Folie für einen Moment prophetischer
Poesie, deren Zauber auch noch in die reich umspielte Reprise nachwirkt.
Namengebendes Glanz- und Kabinettstück des Werkes sind die
abschließenden Variationen (Tema con variazioni. Allegretto) über die
Arie Pria ch´io l´impegno aus Joseph Weigls Oper L´amor marinaro, die am
15. Oktober 1797 in Wien uraufgeführt worden war. Beethoven macht das
Thema, das in jenen Monaten wirklich ein omnipräsenter Gassenhauer in
Wiens Straßen war, zum Ausgangspunkt einer kompakten, überaus
kunstvollen und in seinem Œuvre einzigartigen Variationenfolge. Denn wie
sich bei näherer Betrachtung herausstellt, hat der Komponist hier das
uns von Haydn her so wohlvertraute Prinzip der klassischen
Doppelvariation um eine monothematische Variante bereichert – auf den
ersten Blick ein wahres Paradoxon. Beethoven läßt hier in regelmäßiger
Folge jeweils eine lyrisch-besinnliche auf eine dramatisch-zupackende
Variation folgen, ein Verfahren, daß logischerweise auch die – innerhalb
der Beethovenschen Klaviertrios sonst nur in den
Dittersdorf-Variationen op.44 anzutreffende – Verdoppelung der
traditionellen Minore-Variation zur Folge hat: die erste (Variation IV)
entlockt dem biederen Thema völlig unerwartete elegische, ja tragische
Töne, während in der zweiten (Variation VII) das Motiv des punktierten
Rhythmus, das in der Vorlage nur eine völlig untergeordnete und
ornamentale Rolle spielt, seine Krallen zeigt – es wird hier zum
uneingeschränkten Alleinherrscher, dessen wildentschlossene Drohgebärden
auf keiner italienischen Opernbühne ihre Wirkung verfehlen würden. Das
dualistische Bauprinzip des Satzes bedingt auch den Verzicht auf das
sonst (z.B. in op.44 und op.121a) mit gutem Effekt eingesetzte Mittel
der drei „Solovariationen“; Beethoven ersetzt es hier durch die
eröffnende Gegenüberstellung des Klaviers (Variation I), das sich mit
komischer Ungeduld – nämlich ein ganzes Viertel zu früh! – auf das Thema
stürzt, und der beiden Melodieinstrumente, die in Variation II ein von
solchem Tatendrang völlig unberührtes, still-verträumtes Zwiegespräch
halten. Das folgende Variationenpaar übersteigert diesen Kontrast noch,
indem hier auf den tatendurstigen Optimismus der Variation III der
entsagungsvolle Weltschmerz der schon erwähnten ersten Mollvariation
folgt. Erst im dritten Anlauf gelingt es dem gipfelstürmenden Übermut
Florestans (Variation V) Eusebius wenigstens ein Lächeln zu entlocken –
mit der verspielten Variation VI scheint sich der Konflikt zwischen den
beiden Welten zu entschärfen, eine Illusion, die das zweite Minore
(Variation VII) mit monomanischer Radikalität zerstört. Die Antwort
darauf ist ein Musterbeispiel Beethovenschen Humors und gleichzeitig der
Wendepunkt des Satzes: Im nachfolgenden Maggiore (Variation VIII)
erscheinen die beiden antagonistischen Charaktere das erste Mal
gleichzeitig, wenn auch durchaus nicht vereint – der schwärmerische
Belcanto wird von einem dynamisch völlig disproportionierten Klavierbaß
(sempre forte) „begleitet“, und man hört förmlich das ob solcher
skandalösen Messalliance indignierte Getuschel des P.T. Publikums. Die
letzte Variation (IX) greift ein erstes und einziges Mal das Weiglsche
Thema selbst auf, dem Beethoven bisher ja nur das harmonische und
formale Gerüst entlehnt hatte; und ganz so, als wollte uns der Komponist
nachträglich noch auf die Janusköpfigkeit des Satzes hinweisen, handelt
es sich dabei um einen zweistimmigen Kanon. Den Übergang zum Finale
bildet einer jener urkomischen und überlangen Diskanttriller, die der
junge Beethoven mit Vorliebe zur Verblüffung seiner Zuhörer einsetzt
(und die noch nichts davon erahnen lassen, in welche Regionen er uns
ganz zuletzt, im Schlußsatz der Klaviersonate op.111, mit äußerlich ganz
gleichen Mitteln entführen wird). Die kurze Verirrung des Klaviers in
das entfernte G-Dur wird von den beiden Partnern souverän korrigiert,
und dem traditionellen Sechsachtel-Schluß, dessen pikante Synkopen an
das Finale des (gleichzeitig abgeschlossenen) Klavierkonzertes op.19
denken lassen, scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Aber mit einer
virtuosen Geste auftrumpfender Bescheidenheit holt Beethoven für die
allerletzten vier Takte noch einmal den braven Joseph Weigl und sein
tapferes Vierviertel-Thema vor den Vorhang.
Dieser Schlußsatz ist Gegenstand einer ganzen Reihe von Erzählungen,
deren Wahrheitsgehalt nur mehr schwer nachzuprüfen ist. Philip Cipriani
Potter (1792-1871), der ab 1818 in Wien studierte und mit Beethoven
Kontakt hatte, will vom Verleger Artaria gehört haben, dieser selbst
habe Beethoven das Thema mit der Bitte um Verwendung in einem Trio
übergeben; Beethoven habe nicht gewußt, daß es sich um eine Komposition
Weigls handle, und sei sehr ungehalten gewesen, als er es später
erfahren habe. Wie wahrscheinlich das angesichts der ganz
außerordentlichen Popularität des Liedes ist, das von Johann Nepomuk
Hummel, Joseph Eybler, Abt Josef Jelínek, Friedrich Wilhelm Berner,
sowie von Beethovens Konkurrenten Joseph Wölfl und Daniel Steibelt, ja
zuletzt sogar noch im Jahre 1828 von Niccolò Paganini variiert wurde,
sei dahingestellt. Daß aber Beethoven wirklich die Absicht gehabt hat,
den Variationensatz durch ein anderes Finale zu ersetzen, wird uns auch
von Carl Czerny bestätigt, der wiederum berichtet, Joseph Beer habe um
die Verwendung des Themas gebeten. Diese Absicht läßt aber durchaus
nicht den Schluß zu, Beethoven habe den Satz geringgeschätzt – Czerny
betont ausdrücklich, der Komponist habe vielmehr daran gedacht, ihn als
separates Werk erscheinen zu lassen. In der Tat ist das Auftreten so
eigengewichtiger und selbständiger Variationen in der Funktion eines
Finales ungewöhnlich; in Beethovens Klavierkammermusik finden wir
überhaupt nur noch in zwei anderen Fällen Variationssätze an den Schluß
gestellt, und beide Male (in den Violinsonaten op.30 Nr.1 und op.96)
handelt es sich um wesentlich „homogenere“ und „linearere“, also den
tektonischen Anforderungen eines Schlußsatzes eher entsprechende Stücke.
Der frühesten dokumentierten Aufführung des Stückes anläßlich eines der
damals so beliebten „Wettspiele“, bei dem Beethoven auf Einladung von
Reichsgraf Moritz von Fries mit dem überaus beliebten und erfolgreichen
Scharlatan Daniel Steibelt konkurrieren sollte, der sich in Beethovens
Opus 11 und in einem Klavierquintett eigener Komposition produzierte,
folgte der uns von Ferdinand Ries anschaulich geschilderte Eklat
zwischen den beiden Kontrahenten:
„Acht Tage später war wieder Concert beim Grafen Fries. Steibelt spielte
abermals ein Quintett mit vielem Erfolg, hatte überdies (was man fühlen
konnte) sich eine brillante Phantasie einstudiert und sich das nämliche
Thema gewählt, worüber die Variationen in Beethovens Trio geschrieben
sind, dieses empörte die Verehrer Beethovens und ihn selbst; er mußte
nun ans Clavier, um zu phantasieren. Er ging auf seine gewöhnliche, ich
möchte sagen, ungezogene Art ans Instrument wie halb hingestoßen, nahm
im Vorbeigehen die Violoncellstimme von Steibelts Quintett mit, legte
sie (absichtlich?) verkehrt aufs Pult und trommelte sich mit einem
Finger von den ersten Takten ein Thema heraus. Allein, nun einmal
beleidigt und gereizt, phantasierte er so, daß Steibelt den Saal
verließ, ehe Beethoven aufgehört hatte, nie mehr mit ihm zusammenkommen
wollte, ja es sogar zur Bedingung machte, daß Beethoven nicht eingeladen
werde, wenn man ihn haben wolle.“
Da dieser letzte Bericht geeignet sein könnte, die verbreitete
Vorstellung zu untermauern, Beethoven habe die Variationenform mit
Vorliebe dazu benützt, seine Verachtung des vorgegebenen Themas
auszudrücken, so muß dieser These an dieser Stelle noch einmal
nachdrücklich widersprochen werden: Wer sich auch nur einmal in ein
Beethovensches Skizzenbuch vertieft hat, weiß, welch lapidare, ja banale
Gestalt Beethovens eigene Gedanken bei ihrem ersten Auftreten zu haben
pflegen. Niemand war daher berufener als Beethoven, die unausgeschöpften
Möglichkeiten auch des allerbiedersten Themas zu erkennen und sie
variierend zu entwickeln. Das Bild des Titanen, der sich am Entsetzen
des ihm zwischen die Finger geratenen Zwerges weidet, paßt zwar gut zum
Mythos Beethoven (der sich gerne auf Ausbrüche von Jähzorn und Hochmut
wie den oben geschilderten beruft), ist aber kaum mehr als eine
Karikatur. Ein Komponist, der es nicht verschmähte, eines seiner
bedeutendsten und gedankentiefsten Werke mit einem Finale zu krönen,
dessen Thema dem Kinderlied „Hopp, hopp, hopp, Pferdchen, lauf´ Galopp“
zum Verwechseln ähnlich sieht (V. Symphonie, op.67), hat gewiß auch noch
das geringste der ihm in den Weg laufenden Themen geachtet. Was er mit
Joseph Weigls Pria ch´io l´impegno schon bei der Vorstellung des Themas
durch die Hinzufügung der frechen synkopischen Akzente anstellte, ist
also nicht notwendigerweise als selbstbewußte Verspottung der Vorlage zu
werten, denn Beethoven wußte sehr wohl, daß das Weiglsche Thema in all
seiner Einfalt den dramaturgischen Anforderungen des Originals (eines
Terzetts über den Text „Pria chi´io l´impegno magistral prenda, far vuó
merenda“, also etwa: „Bevor ich mich ans große Werk mache, will ich noch
tüchtig essen“) hervorragend entsprach. Man täte als gut daran, die
Bewunderung für die Beethovenschen Variationskünste nicht untrennbar mit
der Verächtlichmachung seiner Vorlagen zu verbinden; und daß auch der
heute so gründlich vergessene Joseph Weigl über mehr Nuancen gebot als
nur den Ton tölpelhafter Biederkeit, darf als gesichert gelten –
immerhin hat kein geringerer als Joseph Haydn, Weigls Taufpate, in einem
Brief an sein Patenkind bekannt: „Schon seit langer Zeit habe ich keine
Musik mit solchem Enthusiasmus empfunden, als Ihre… Sie ist
gedankenneu, erhaben, ausdrucksvoll, kurz ein Meisterstück.“ (11. Jänner
1794)
© by Claus-Christian Schuster