Kurt Roger
* 03. Mai 1895
† 04. August 1966
Trio Es-Dur op.77 (1953)
Komponiert: | Washington, DC, 1953 |
Uraufführung: | 1959 College Park, University of Maryland Gene Akkers, Klavier Donald Portnoy, Violine John Engberg, Violoncello |
Erstausgabe: | Manuskript |
Kurt Roger wuchs in Wien auf, wo er bei Arnold Schönberg, Karl Weigl und Guido Adler studierte und 1918 als Musikwissenschaftler promovierte. Von 1923 bis zu seiner Emigration 1938 unterrichtete Roger am Wiener Konservatorium Musiktheorie und Komposition. In dieser Zeit fand Roger als unabhängiger und origineller Geist, der sich von Spätromantik und Dodekaphonik gleich weit entfernt hielt, einige Beachtung. So wurde etwa sein Streichquintett op.7 (in der Schubert-Besetzung) vom Rosé-Quartett (mit O. Stieglitz als zweitem Cellisten) uraufgeführt. Daß seine Äquidistanz zu den beiden bestimmenden Gruppierungen der Zeit nichts mit Isolationismus zu tun hatte, zeigt schon ein Blick auf die Namen seiner Lehrer. 1938 zur Emigration gezwungen, entkam er in die USA, wo er sich 1940 in New York niederließ. Diese Flucht geriet zum großen Trauma seines Lebens. Obwohl ihm die USA zur zweiten Heimat wurden (1945 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft), konnte er dort keinen Ersatz für seinen Wiener Wirkungs- und Freundeskreis finden. Zwar setzten sich auch weiterhin namhafte Interpreten für sein Werk ein (Erich Leinsdorf, Rafael Kubelik, Sir Charles Groves u.a. dirigierten Aufführungen seiner Orchesterkompositionen mit der Chicago Symphony, der National Symphony, dem BBC-Orchestra, den Wiener Symphonikern usw.), doch blieb ihm letztlich weitere und allgemeinere Anerkennung versagt. 1953 übersiedelte Roger nach Washington, wo er an der American University und der George Washington University unterrichtete. Auch im wiederbefreiten Österreich begann man, sich seiner zu erinnern. 1958 wurde er als Dozent der Sommerkurse am Mozarteum nach Salzburg eingeladen, und in der Folge wurden ihm auch jene österreichischen Wiedergutmachungsehren (Verleihung des Professorentitels und des Verdienstkreuzes Erster Klasse) zuteil, deren Haupteffekt wohl die Gewissensberuhigung der Verleiher ist. In seinen letzten drei Lebensjahren war Roger regelmäßig als Professor an der Queen’s University in Belfast (Nordirland) tätig. Er starb während eines Wienbesuchs und wurde in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Zentralfriedhof beigesetzt.
Rogers Werkkatalog umfaßt 116 Opusnummern, unter denen man fast alle Genres (mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Kammermusik) vertreten findet. Das kompositorische Credo Rogers, das auf seinem unerschütterlichen Vertrauen auf die Lebens- und Erneuerungsfähigkeit der Tonalität fußte, machte ihn zeitlebens zu einem Außenseiter. Erst die stilistische Entwicklung der letzten Jahre hat deutlich gemacht, daß seine Suche nach freitonaler Linearität auch in einem größeren, musikgeschichtlichen Kontext durchaus kein anachronistischer Irrweg war. 1989 erwarb die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien den musikalischen Nachlaß von Kurt Roger.
Das 1953, im Jahre von Rogers Übersiedlung nach Washington, geschriebene Klaviertrio in Es ist eine knapp formulierte, dreisätzige Komposition, die sich in origineller Weise auf verschiedenste historische Muster bezieht, jedoch nichts mit irgendeinem modischen “Neo-“Stil zu tun hat. Kontrapunktischer Einfallsreichtum und eine erfrischende Vorurteilslosigkeit in der Harmonik sind die allen Sätzen gemeinsamen Züge.
Der erste Satz (Allegretto) bezieht seine Dynamik aus dem extremen Kontrast zwischen einem federnd-optimistischen Es-Dur-Motto, das kanonisch von allen Instrumenten exponiert wird, und dem träumerisch wehmütigen Seitensatz, der seine Poesie nicht zuletzt einer zarten phrygischen Färbung verdankt. Das Streben nach Prägnanz zieht die Verwendung einer extrem verkürzten Abart der Sonatenform nach sich: Durchführung und Reprise werden einander überlagert, wobei der Seitensatz mit seiner aparten Harmonik hier wesentlich breiteren Raum als in der Exposition einnimmt, sodaß die “traditionelle” Stelle der Reprise von einer kurzen, die Tonika sieghaft bekräftigenden Coda eingenommen werden muß.
Der zweite Satz (Adagio, As-Dur) basiert auf einem großräumigen, recitativischen Thema mit weitgespannten Intervallen. Es wird nach der Art eines Kanons viermal exponiert, wobei schon der zweite Themeneinsatz (Violoncello) die ursprüngliche Gestalt um eine Kadenz nach C-Dur erweitert. In den jeweiligen Gegenstimmen widerspiegeln sich einzelne charakteristische Details des Themas, sodaß sich das ganze Gewebe zu einer schwermütigen Klanglandschaft von meditativer Innigkeit fügt.
Im Finalsatz (Allegro) wird diese Besinnlichkeit übermütig beiseite gefegt. Ein fürwitziges Fis versucht hartnäckig die Herrschaft des Es-Dur zu brechen und schleicht sich sogar mit frechem Spott in das “Hauptthema”, das von einem ausgelassenen Kinderlied inspiriert scheint. Die Auseinandersetzung zwischen der legitimen Tonika und dem ungebetenen Prätendenten führt zu allerlei komischen Capriolen, doch freilich darf sich zum Schluß das biedere Es behaupten – es tut das aber natürlich nicht mit Triumphatorengebärde, sondern wie es sich für einen kleinen Raufbold geziemt: mit herausgestreckter Zunge.
© by Claus-Christian Schuster