Paul Hindemith
* 16. November 1895
† 28. Dezember 1963
Sonate Nr.4, C-Dur (1939)
Komponiert: | Bluche (Kanton Wallis), 3.-9. September 1939 |
Erstausgabe: | Schott, Mainz, 1939 |
Im August 1938 – die Lage des Komponisten im nationalsozialistischen
Deutschland war nach Aufführungsverboten und Diffamierungskampagnen
gänzlich unhaltbar geworden – lösten die Hindemiths endlich ihren
Berliner Haushalt auf und reisten in die Schweiz aus.
„Es gibt nur zwei Dinge, die anzustreben sind: Anständige Musik und ein sauberes Gewissen…“
schreibt Hindemith am 20. September 1938 seinem Verleger. Noch immer
will er nicht wahr haben, daß er eine Entscheidung für den Rest seines
Lebens getroffen hat. Mit der Genies eigenen – und niemandem so wie
ihnen verzeihlichen – Kurzsichtigkeit geht es ihm wohl zunächst nur
darum, seine Arbeit ungestört fortsetzen zu können. In Bluche bei Sierre
( – Hindemith schreibt übrigens, gar nicht kosmopolitisch, beharrlich
„Blüsch“, „Sijär“ und „Lozan“ – ) findet man schließlich ein Tusculum:
„… das Häuschen ist so, als wäre es uns auf den Leib geschneidert, und
die Gegend ist das Schönste, was man sich wünschen kann, eine liebliche
Matten- und Baumlandschaft, rings umgeben von den großartigsten Dingen.
Hinter uns die südlichste Kette der Berner Alpen, gegenüber die
Walliser Schneeriesen (Weißhorn usw.) und vor uns tief unten das
Rhônetal, das man etwa 40 Kilometer weit aufwärts verfolgen kann. Dazu
die Abgeschiedenheit in einem winzigen Bauerndörfchen voller Kühe mit
ständigem Gebimmel, das Häuschen mit Sommerveranda und Garten mit
Obstbäumen, was will man mehr?…“
(an den Schott-Verlag, 2. Oktober 1938)
Wie schon bei der Komposition des Mathis, den Hindemith fern von der
Hektik Berlins in Lenzkirch im Schwarzwald geschrieben hatte,
bewahrheitete sich auch diesmal das Ovidsche „silva placet musis, urbs
inimica poetis“: In den wenigen Monaten, die Hindemith vor seiner
Emigration in die USA (Februar 1940) zwischen seinen ausgedehnten
Konzertreisen in seinem Walliser Idyll vergönnt waren, entstanden
insgesamt elf Werke, darunter neben dem Violinkonzert nicht weniger als
fünf Sonaten, die allesamt zu den gelungensten Werken des Komponisten
zählen. Während die anderen vier Sonaten Unikate in Hindemiths Oeuvre
sind, krönt und beschließt die Violinsonate eine ganze Werkgruppe.
Mit einem Blick auf das Entstehungsdatum des Werkes kann man schwer
umhin, in dieser letzten und ambitioniertesten der Hindemithschen
Violinsonaten die unmittelbare Antwort des Komponisten auf das
Hitlersche Kriegsgebell, das zwei Tage vor Beginn der Niederschrift
durch den Äther gegellt hatte, zu sehen. Dem Fanal der kraftmeiernden
Barbarei wird hier eine aus gedanklicher Ordnung und Klarheit
entspringende Kraft entgegengesetzt, die Hindemiths Postulat von der
Einfachheit als „letzter Reduktion hoher Ideen auf die klarste Form“
entspricht. Der kurze, monothematische erste Satz (Lebhaft, in C) hat
Ouverturencharakter; die Bauform ist ABCBA, wobei die Differenzierung
der einzelnen Architekturglieder bei gleichbleibender Motivik durch
dynamische, artikulatorische und metrische Variation erzielt wird.
Im zweiten Satz (Langsam – Lebhaft – Langsam, in E) werden in bewährter
Weise die Charakteristika der Mittelsätze einer viersätzigen Sonate in
eine dreiteilige Form zusammengezogen; die Eckteile vertreten dabei die
Stelle des langsamen Satzes, während der Mittelteil im aparten
Fünfachteltakt die Funktion eines Scherzos übernimmt. Der thematische
Zusammenhalt mit dem Eröffnungssatz ist in den langsamen Teilen eher
lose durch die Übernahme einzelner charakteristischer Motivelemente
hergestellt, wohingegen das Thema des raschen Mittelteils unmittelbar
aus der Umkehrung des Incipits von dort gewonnen wird. In der Reprise
weckt die Geige mit ihren spielerisch-motorischen Skalenornamenten
Erinnerungen an ähnlich lautende Stellen aus den Sonaten op.11.
Ziel und Krönung des Werkes ist aber ohne Zweifel die abschließende
Tripelfuge (Ruhig bewegt, in C), einer der kontrapunktisch und formal
eindrucksvollsten Sätze Hindemiths. Die gestische Charakterisierung der
drei Themen ist von großer Einfachheit, was der Transparenz des Satzes
sehr zugute kommt. Auch bei der Gliederung verliert Hindemith niemals
das Ziel größtmöglicher Klarheit aus den Augen. Drei kadenzartige
Zäsuren (C-Dur – Cis-Dur – H-Dur) ordnen den Fluß des Geschehens. Die so
gebildeten vier Abschnitte der Fuge verarbeiten der Reihe nach:
1.) Thema 1,
2.) Thema 2 und Kombination der Themen 1 und 2
3.) Thema 3
4.) Kombination aller drei Themen.
Dieser großräumige Bauplan ist ohne alle äußerliche Rhetorik und mit
lakonischer Ökonomie ausgeführt. Indem Hindemith die kontrapunktische
Artistik Regers aufnimmt und weiterführt, versteht er es doch, ihr neuen
Inhalt und Sinn zu geben. In ihrer gewissermaßen leidenschaftlichen
Sachlichkeit stellt die letzte Violinsonate Hindemiths in ihrem Genre
eine der überzeugendsten Leistungen unseres Jahrhunderts dar.
© by Claus-Christian Schuster