Cristóbal Halffter
* 24. März 1930
Canción callada in memoriam Federico Mompou (1988)
Komponiert: | Villafranca del Bierzo (León) |
Widmung: | Federico Mompou y Dencausse (1893-1987) |
Uraufführung: | 9.8.1988, Santander, Catedral Trio Mompou Luciano González Sarmiento, Klavier Juan Lluis Jordà Ayats, Violine Pilar Serrano, Violoncello |
Erstausgabe: | Universal Edition, Wien/London/New York, 1988 (Facsimile) |
Am 30. Juni 1987 starb Federico Mompou y Dencausse im 95. Lebensjahr in seiner Geburtsstadt Barcelona. Der scheue und stille Sohn eines katalanischen Rechtsanwaltes und der jüngsten Vertreterin einer uralten französischen Glockengießerdynastie, der fast drei Jahrzehnte seines Lebens in Paris verbracht hatte, war schon zu Lebzeiten zu einer Legende geworden. Vor allem in den dürren Jahren des „Darmstädter Diktats“ hatten viele Hörer seine schlichte, klangsinnliche, unspekulative und unspektakuläre Musik als ein nicht nur willkommenes, sondern geradezu unentbehrliches Antidotum gegen die einschüchternden Klangkonstruktionen bewundernswerter Mathematiker und Logiker empfanden, von denen sich einige wohl nur zufällig in das Wunderland der Musik verirrt hatten. Als die Machtfülle jenes musikalischen Totalitarismus gerade ihrem Höhepunkt zustrebte, hatte sich der leise Meister in den Jahren 1959 bis 1967 in die Niederschrift eines seiner pianistischen Hauptwerke verloren – der Música callada, einer Art Klang-Tagebuch, das, auf vier Hefte verteilt, 28 nachdenkliche Einträge enthält, und das der Komponist selbst noch im Alter von achtzig Jahren auf Schallplatte einspielte.
Dem ersten, 1959 erschienenen Heft dieses opus summum hat Mompou einen Kommentar beigefügt, in dem er den Gesamttitel des Werkes auf einen Vers im Cántico espiritual des Juan de Yepes Álvarez (1542-1591) zurückführt, der in der katholischen Welt als San Juan de la Cruz oder Heiliger Johannes vom Kreuz bekannt ist. Dort findet sich ziemlich zu Beginn der eröffnenden Canciones entre el Alma y el Esposo der Passus:
…la noche sosegada,
en par de los levantes de la aurora,
la música callada,
la soledad sonora,
la cena que recrea y enamora…
der in der weit wortreicheren und assoziationsärmeren deutschen Nachdichtung des päpstlichen Hausprälaten Bernhard Panzram (1902-1998) so lautet:
Er gleicht der Nacht, mit stiller Ruh gekrönet,
Die schon entgegen geht dem Morgenlicht;
Er ist Musik, die nur verschwiegen tönet,
Ist Einsamkeit, die süß in Klängen spricht,
Ein Abendmahl, das froh zu neuer Lieb’ erfrischt.
Die verschwiegene, also nur in der mystischen Stille wahrnehmbare Musik, die in der Vision des Heiligen hier die Stelle Gottes vertritt, ist die gemeinsame Quelle für Mompous Klangmeditationen und Cristóbal Halffters Hommage an den älteren Meister. Schon die der Terminologie des Cántico espiritual angepaßte Verwendung des Begriffs Canción läßt erkennen, wie bewußt Halffters Rekurs auf Mompous Inspirationsquelle ist. Tatsächlich ist das Werk des großen katholischen Mystikers das stärkste Bindeglied zwischen Mompou und Halffter – in beider Schaffen findet sich eine Vielzahl von Bezügen darauf: So hatte sich Mompou schon in seinem großen Klavierzyklus Canciones y Danzas (1918-1962), als dessen Fortsetzung man Música callada betrachten könnte, aus San Juan de la Cruz bezogen – und eben dieser Umstand veranlaßt Halffter dazu, in seiner Canción callada einen Passus aus jenem Zyklus (eine charakteristische Wendung vom Beginn der Canción y danza VI ) wörtlich zu zitieren (die Takte 29-34 von Halffters Hommage greifen ); und Cristóbal Halffter selbst hatte schon während Mompous letztem Lebensjahrzehnt, in dem der schwerkranke Katalane nicht mehr komponieren konnte, in seiner akustisch-visuellen Installation La soledad sonora/La música callada (1982/83) den ideellen Dialog mit dem spanischen Heiligen fortgesetzt.
Schon kurz nach Mompous Tod begann das Centro para la Difusión de la Música Contemporánea (CDMC) in Madrid mit den Vorbereitungen für ein feierliches Gedenkkonzert, das dann am 9. August 1988 im Kreuzgang der Kathedrale von Santander im Rahmen des XXXVII Festival Internacional de Música y Danza stattfand. Für diese Gelegenheit wurde eine ganze Pleiade spanischer Komponisten eingeladen, kurze Stücke für Klaviertrio zu schreiben, mit denen Mompou ein musikalisches Denkmal gesetzt werden sollte. Der Begriff „Pleiade“ ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn es war wirklich ein Siebengestirn, an das der Aufruf erging: neben Cristóbal Halffter gehörten dieser Komponistengruppe sein Jahrgangscollege Luis de Pablo und der um ein Jahr ältere Carmelo Alonso Bernaola, die etwas jüngeren Kollegen Anton García Abril, Tomás Marco und Claudio Prieto sowie, als Vertreter der älteren katalanischen Generation, Xavier Montsalvatge Bassols an. Die so entstandenen Werke wurden schließlich von dem 1982 gegründeten Trio Mompou (in einem der letzten Konzerte in seiner ersten Besetzung) uraufgeführt.
Daß gerade Cristóbal Halffter unter den Bewunderern Mompous einer der verständnisvollsten und berufensten ist, also ein Komponist, der als anerkannter Avantgardist 1976 und 1978 Dozent an den Darmstädter „Internationalen Ferienkursen für Neue Musik“ war, mag auf den ersten Blick erstaunen. Vor allem im deutschen Sprachraum hat man sich ja spätestens seit dem wortgewaltigen Wirken Theodor Adornos in Fragen der Musikästhetik an Demarkationslinien gewöhnt, die den ehemals berüchtigten „Eisernen Vorhang“ puncto Permeabilität womöglich noch unterbieten. Doch einengende Dogmatik war dem Denken und Schaffen Cristóbal Halffters schon immer fremd – und ein kurzer Blick auf Herkunft und Werdegang des Komponisten läßt erahnen, warum das so ist.
Cristóbal Halffters Großvater, der Juwelier und Goldschmied Ernst Halffter (Ernesto Halffter Hein), entstammte einem ostpreußischen Junkergeschlecht – der Familienname deutet auf die Pferdezucht hin, mit der sich seine Vorfahren über viele Generationen auf dem Gut Adamsruhe (Kreis Insterburg, heute Černjahovsk) beschäftigt hatten – und war, da er als Zweitgeborener keien Aussicht hatte, das Erbe anzutreten, um 1890 aus seiner Heimatstadt Königsberg nach Madrid emigriert, wo er die aus Katalonien stammende Rosario Escriche Erradón heiratete. Ein Onkel Rosarios, Ernesto Escriche, war ein erfolgreicher Konzertpianist, und zwei der Söhne aus der Verbindung Rosarios mit Ernst Halffter, Rodolfo (1900-1987) und Ernesto (1905-1989), sollten zu führenden Protagonisten der musikalischen Moderne in Spanien – Rodolfo später dann auch in seinem Emigrationsland Mexiko – werden. Cristóbals Vater Emilio (1902-1990), zwischen den beiden Musikern geboren, hatte hingegen praktischere Interessen: Er wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann und heiratete die musikbeflissene Feliza Jiménez Encina. Im gastfreien Haus des jungen Ehepaares verkehrte die geistige Elite Spaniens: Manuel de Falla, Federico García Lorca und Salvador Dalí zählten zu den ständigen Gästen der Familie.
Cristóbal hat eben seine allerersten Klavierstunden hinter sich, als der spanische Bürgerkrieg seine Eltern dazu bewegt, nach Deutschland zu flüchten. Seine ersten Schuljahre verbringt Cristóbal Halffter daher in der „Schlüsselstadt“ Velbert im Bergischen Land bei Essen, von wo die Familie aber bei Kriegsbeginn nach Madrid zurückkehrt. Von dort ist Cristóbals Onkel Rodolfo, im Gegensatz zu seinen Brüdern ein unbeugsamer Republikaner, inzwischen nach Mexiko geflohen – und hat seinem musikbegeisterten jungen Neffen seine ganze reiche Bibliothek hinterlassen. So kann der neugierige Knabe sich unabhängig vom Kulturklima der faschistischen Diktatur ganz ohne ideologische und ästhetische Scheuklappen informieren und entwickeln. Der frühe Tod der Mutter, die 1941 einem Krebsleiden erliegt, ist ein erster schwerer Schlag. 1945 wird die deutsche Schule, die Cristóbal bis dahin besucht hat, geschlossen, und er steht vor der Notwendigkeit, den gesamten Lehrstoff noch einmal nach den Vorgaben des spanischen Unterrichtssystems zu bewältigen. Zum Glück erspart ihm der Vater die Peinlichkeit, die Schulbank neben Volksschülern drücken zu müssen, und engagiert statt dessen einen wegen seiner linken Gesinnung arbeitslos gewordenen Pädagogen als Privatlehrer – auch dadurch kommt Cristóbal wieder in den Genuß einer von den fragwürdigen Prämissen des Franco-Regimes unbeeinflußten Prägung. Von 1947 bis 1951 wird er von Conrado del Campo (1878-1953), dem hochangesehenen Kompositionslehrer des Königlichen Konservatoriums, unterrichtet und schließt das Regelstudium schon mit 21 Jahren erfolgreich ab. Zehn Jahre später wird er selbst als Lehrer an das Real Conservatorio berufen und 1964 sogar zum Direktor dieses Instituts bestellt, tritt aber nach nur zweijähriger Amtszeit aus Protest gegen die seiner Überzeugung nach unzeitgemäßen Unterrichtsmethoden zurück. In den vergangenen vier Jahrzehnten hat Cristóbal Halffter mit stets wachsendem Erfolg weltweit als Komponist, Dirigent und Lehrer gewirkt, ohne aber seiner Heimat den Rücken zu kehren. Mit seiner Frau, der Pianistin María Manuela Caro y Carvajal, lebt er auf dem Stammsitz von deren Familie in Villafranca del Bierzo (León).
© by Claus-Christian Schuster