Paul Juon
* 23. Februar 1872
† 21. August 1940
Legende [Trio Nr.5], d-moll, op.83
Komponiert: | Berlin, 1929 |
Widmung: | Eugène Couvreu (1862-1945) |
Uraufführung: | Berlin, Akademie der Künste, 6. November 1929 Georg Schumann (1866-1952), Klavier Willy Hess (1859-1939), Violine Georg Wille (1869-1958), Violoncello |
Erstausgabe: | Birnbach, Berlin, 1930 |
Die selben Qualitäten, die uns in der 1918 konzipierten Tondichtung Litaniae begegneten, zeichnen auch die im Jahr der Neufassung dieses Werkes (1929) komponierte und Eugène Couvreu gewidmete Legende aus. Das zwischen beiden Entwürfen liegende Jahrzehnt hat aber das Idiom des Komponisten noch um einen deutlichen Grad komplizierter werden lassen. Unter den Klaviertrios Juons ist dieses Werk sicher das schwierigste und anspruchsvollste, wenn man auch mit einigem Recht die vorangehende Litaniae als das „geglücktere“ bezeichnen könnte. Aber das liegt wohl an der Natur der Sache selbst: Wir sind hier aus der zeitlosen Welt des Traumes in die gebrochene und verfremdete Zeitlichkeit der Legende eingetreten. Die Szenen der Erzählung erinnern wirklich ein wenig an die Phantastik mittelalterlicher Hagiographie, aber durchaus nicht im Stile des Jacobus de Voragine, sondern etwa so, wie sie Vittore Carpaccio vom gesicherten Boden der Renaissance aus wiederbelebte. Naive Ritterlichkeit, Glaubenseinfalt, märchenhafter Spuk – alle diese Elemente sind hier vereint, doch gewissermaßen nicht aus erster Hand, sondern nacherlebt aus der Distanz eines komplizierten und widersprüchlichen modernen Geistes. Unwillkürlich fühlt man sich an einen Ausspruch Thomas Manns erinnert, der ja in seinem Roman „Der Erwählte“ zwei Jahrzehnte später ein durchaus vergleichbares Experiment unternommen hat und das kreative Dilemma seiner Generation in die Worte faßte: „Stilistisch gibt es für mich eigentlich nur noch die Parodie.“ Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Es ist hier nicht von „Parodie“ im landläufigen Sinn als einer Verzerrung ins Komische die Rede, sondern von „Parodie“ in der ursprünglichen antiken Bedeutung des Wortes (die Thomas Mann genau so geläufig war wie jedem Kenner der Renaissancemusik), nämlich als die Kunst, zu etwas schon Bestehendem einen „Gegengesang“ zu erfinden. Es liegt auf der Hand, daß Ausdrucksformen dieser Art, deren Reiz in der Fülle der durch sie geweckten Erinnerungen liegt, charakteristisch für Zeiten der Überreife und des Umbruchs sind. Indem Juon für sein letztes großes Kammermusikwerk diese vielschichtige und komplexe Form wählt, faßt er noch einmal die Summe seines musikalischen Erbes in beeindruckender und berührender Weise zusammen.
© by Claus-Christian Schuster