Ravel: Trio en la (1914)

Maurice Ravel

* 07. März 1875
† 28. Dezember 1937

Trio en la (1914)

Komponiert:Saint-Jean-de-Luz, 3. April – 29. August 1914
Widmung:André Gédalge (1856-1926)
Uraufführung:Paris, Salle Gaveau, 28. Jänner 1915 (SMI)
Alfredo Casella (1883-1947), Klavier
Gabriel Willaume, Violine
Louis Feuillard (1872-1941), Violoncello
Erstausgabe:Durand, Paris, 1915

Spätestens seit 1908 – der Zeit der Rapsodie espagnole und der Oper L’heure espagnole – trug sich Ravel mit dem Plan der Komposition eines Klaviertrios; in einem Brief an Cipa Godebski (26. März 1908) taucht dieses Projekt neben dem Plan einer Oper nach Gerhart Hauptmanns Drama Die versunkene Glocke (1897) und eines Oratoriums nach den Fioretti des Franz von Assisi das erste Mal auf. Während das Thema der Fioretti später nicht mehr erscheint (De Falla meinte, daß Teile der ursprünglich dafür vorgesehenen Entwürfe später in Ma mère l’Oye aufgegangen seien), beschäftigt das Trio und der Hauptmann-Stoff Ravel von da an eigentlich ständig. Erst nach dem Abschluß der Arbeit am Trio, nach Kriegsausbruch, bricht Ravel die Arbeit an der Versunkenen Glocke unter dem Druck der politischen Ereignisse ab. (Ein anderes Werk, das zur gleichen Zeit seiner patriotischen Selbstzensur zum Opfer fiel und das Wien!… heißen sollte, wurde etwas später zu La Valse.)

Von Anfang an war Ravel sich der besonderen klanglichen Schwierigkeiten bei der Komposition eines Klaviertrios bewußt, und er äußerte gesprächsweise auch immer wieder, daß seiner Meinung nach nur Saint-Saëns dieses Problem zufriedenstellend gelöst habe. Seinem Freund und Schüler Maurice Delage hatte Ravel von seinem Plan erzählt, und als der ihn nach längerer Zeit fragte, was denn daraus geworden sei, gab Ravel zur Antwort:

„Mein Trio ist fertig; es fehlen mir nur noch die Themen…“

Wie immer man diese Äußerung deuten mag (an der Hindemith wohl seine helle Freude gehabt hätte): die Konzeption des Werkes muß jedenfalls schon ziemlich weit gediehen gewesen sein, als Ravel im Februar 1914 nach Saint-Jean-de-Luz aufbrach. Es war ungewöhnlich früh für eine Reise ans Meer, aber Ravel schien zu ahnen, daß die Zeit drängte. Zwei Werke waren es vor allem, für deren Komposition er den stürmischen Vorfrühling seiner baskischen Heimat verwenden wollte: das Trio und ein schon im Vorjahr ebenfalls in Saint-Jean-de-Luz begonnenes Klavierkonzert, dessen Entwurf noch älter als der des Trios war, und das den baskischen Titel Zaspiak-bat tragen sollte: „Die Sieben sind Eins“ – gemeint sind die sieben traditionellen Provinzen des Baskenlandes Euskadi. (Es ist nicht unwahrscheinlich, daß es neben den materialimmanenten Schwierigkeiten auch dieser separatistische Unterton des Vorwurfs war, der die Fortführung der Arbeit in den Kriegsjahren verunmöglichte.)

Doch zuallererst stand das Trio auf dem Programm; am 21. März schreibt Ravel an Hélène Casella mit unüberhörbar trotziger Schaffensfreude:

„Ich arbeite am Trio – trotz Kälte, Unwetter, Sturm, Regen und Hagel…“

Das Haus, das Ravel wie schon im Vorjahr bewohnte, trug den baskischen Namen Ongi etorri (in Ravels Schreibung „Ongi Ethori“, baskisch für „Willkommen!“). Saint-Jean-de-Luz liegt, nur durch eine kleine Meeresbucht getrennt, Ravels Geburtsort Ciboure direkt gegenüber, am Südrand der nördlichsten Baskenprovinz Lapurdi. So entspringt das baskische Kolorit des Trios also keiner ephemeren Laune, sondern ist Zeugnis einer tiefen und innigen Verbundenheit mit seiner Heimatlandschaft und dem Erbe seiner über alles geliebten Mutter, die das Kind mit baskischen Liedern in den Schlaf gesungen hatte und die auch in diesem stürmischen Jahr 1914 seine einzige und treue Gefährtin war.

Für Zaspiak-bat hatte Ravel authentische baskische Volkslieder verwenden wollen – aber eben an der wildgewachsenen Ursprünglichkeit diese Materials, das sich der Verpflanzung in das ihm wesensfremde Milieu der Kunstmusik widersetzt, scheiterte er schließlich. Jahre später sagte er zu Pater José Antonio de Donostia (1886-1956), dem Doyen der baskischen Folkloristik:

„Man darf diese Volkslieder nicht so behandeln, sie eignen sich nicht für Bearbeitungen.“

Umso mehr von seiner Liebe zur unverwechselbaren und einzigartigen Sprache dieses Volkes floß dafür aber jetzt in das Trio. Dennoch stockte die Arbeit an der Niederschrift immer wieder – war es zuerst das unwirtliche Wetter gewesen, das Ravel irritiert hatte, so stöhnte er etwas später über die unerträgliche Hitze. Wieder klagt er der Frau seines Freundes Alfredo Casella (18. Juli):

„Trotz des schönen Wetters rührt sich das Trio jetzt schon drei Wochen lang nicht vom Fleck und ekelt mich an. Aber heute habe ich entdeckt, daß es eigentlich gar nicht so widerlich ist… Alfredo hat völlig recht, nur für Klavier zu schreiben: das geht dreimal so schnell.“

Zwischendurch mußte Ravel nach Paris; dann gab es Ärger mit der Londoner Premiere von Daphnis et Chloé, für die Diaghilev eigenmächtig die Chöre gestrichen hatte, so daß Ravel sich gezwungen sah, öffentlich zu protestieren. Dieser Konflikt führte in weiterer Folge zum Ende der Zusammenarbeit mit Diaghilev, der sich später weigerte, La Valse aufzuführen.

All diesen widrigen Umständen zum Trotz konnte Ravel am 7. August 1914, gerade vier Tage nach der deutschen Kriegserklärung an Frankreich, das Finale des Trios beenden. Es nimmt nicht wunder, daß etliche Interpreten in den Triller- und Akkordkaskaden dieses Schlußsatzes das Sturmgeläute der Kirchenglocken bei der Mobilmachung hören wollen – auch die Fanfarenstöße der Klavierstimme, die Ravel nie durchdringend genug waren, gewinnen so betrachtet einen kriegerischen Nebensinn. Und wenn es auch zweifelhaft erscheinen mag, daß in einem Werk, das Ravel so viele Jahre mit sich herumgetragen hat, ein zufälliger Eindruck so tiefe Spuren hinterlassen hätte, so ist die in Ravel durch die sich überstürzenden Ereignisse dieser Tage ausgelöste Erschütterung doch ganz unbestreitbar:

„…Seit vorgestern dieses Sturmläuten, diese weinenden Frauen und vor allem die schreckliche Begeisterung der jungen Leute und aller Freunde, die abreisen mußten und von denen ich keine Nachricht habe. Ich kann nicht mehr. Der Alpdruck in jeder Minute ist zu gräßlich. Ich glaube, daß ich verrückt werde, oder daß ich der Besessenheit erliegen muß. Sie meinen, daß ich nicht mehr arbeite? Ich habe niemals so gearbeitet, mit einer verrückteren, heldenhafteren Sucht…“

(an Cipa Godebski, 3. August 1914)

Noch während der letzten Überarbeitung des Manuskripts, die ihn bis 29. August beschäftigt, unternimmt Ravel die für seine Einberufung nötigen Schritte – mit sehr gemischten Gefühlen, vor allem aus Sorge über das Schicksal seiner Mutter. Die Schlußworte seines Briefes an Cipa Godebski aus diesen Tagen (20. August) muten auf dem Hintergrund der nationalistisch aufgeheizten Zeitstimmung fast wohltuend moderat an:

„Und jetzt, wenn Sie wollen: Es lebe Frankreich! Aber vor allem: Nieder mit Deutschland und Österreich… oder zumindest mit denjenigen, die diese beiden Nationen im Augenblick repräsentieren. Und von ganzem Herzen: Es lebe die Internationale und der Friede!… Und, warum eigentlich nicht: Es lebe Polen!“

Unmittelbar nach Vollendung des Trios hatte sich Ravel bei der Stellungskommission in Bayonne gemeldet, war aber als wehrdienstuntauglich zurückgestellt worden.

Am 3.September 1914 wird der Komponist Albéric Magnard bei dem Versuch, marodierende deutsche Soldaten am Betreten seines Gartens in Baron (Oise) zu hindern, erschossen; sein Haus geht mit einem Großteil seiner ungedruckten Werke in Flammen auf. Mit der, auch in den oben zitierten Zeilen mitschwingenden, subtilen Mischung aus bitterem Ernst und elegantem Sarkasmus schreibt Ravel dazu:

„Muß ich denn wirklich, um zu handeln, das Eintreffen zweier Ulanen in dem nicht existierenden Garten, der mein Villenprojekt in Saint-Jean-de-Luz umgibt, abwarten? Jedenfalls, ein Trio habe ich gemacht, wie der arme Magnard: das ist immerhin ein Anfang.“

(an Roland-Manuel, 26. September 1914)

Die Uraufführung des Werkes gestaltete sich angesichts des völligen Zusammenbruchs des Pariser Konzertlebens in den ersten Kriegsmonaten recht schwierig. Erst eine Atempause, die nach den ersten französischen Erfolgen in der Marneschlacht um die Jahreswende 1914/15 eintrat, gab die Möglichkeit, das Werk im Rahmen eines Benefizkonzertes der Société Musicale Indépendante (SMI) uraufzuführen. Der Pianist der Uraufführung, Alfredo Casella, schreibt darüber in seiner Autobiographie:
„Man mußte das Konzert um 19 Uhr ansetzen, weil um 22 Uhr der öffentliche Verkehr eingestellt wurde. Ich führte das Trio mit zwei mittelmäßigen Partnern auf, die mir – obwohl wir ungefähr zwanzig Proben absolviert hatten – am Abend dennoch manchen bösen Streich spielten. Trotzdem hatte das Werk einen ausgezeichneten Erfolg, und auch die Einnahmen des Konzertes (des ersten Kammermusikabends in Paris seit Ausbruch des Krieges) waren beachtlich. Ravel war mir sehr dankbar und wollte, daß ich an seiner Stelle die Partitur korrigiere…“

(Aufgrund dieses Zeugnisses können wir auch die in der Ravel-Literatur verschiedentlich herumgeisternde Angabe, Georges Enescu habe den Violinpart bei der Uraufführung des Trios gespielt, als Mystifikation oder schlichte Verwechslung beiseite tun.)

In der gesamten Architektur dieses Werkes herrscht herrliche Klarheit: „C’est du Saint-Saëns!“ soll Ravel mit einer Mischung aus Stolz und Bescheidenheit gesagt haben; ganz wesentlich zum Eindruck dieser Klarheit trägt die leicht durchhörbare Gliederung des Ablaufs durch großräumige Orgelpunkte in allen vier Sätzen bei.

Der erste Satz (Modéré) ist der längste und gewichtigste des Werkes; in ihm kristallisiert sich die Inspiration durch baskisches Liedgut in Melodik und Rhythmik am deutlichsten. Den ganzen Satz (in Sonatenform) durchpulst ein zauberhaft-schwebender Rhythmus (im 3+2+3-Achteltakt). Wenn auch Roland-Manuel das Urbild dieses Satzes, der für Ravel selbst ganz von baskischer Farbe war, in einem kastilianischen Bailo a lo llano, der Urform des Fandango, entdeckt hat: dieser Rhythmus ist ganz ohne Zweifel ein Kind des baskischen Zortziko.

Im zweiten Satz (Pantoum. Assez vif) bezieht sich Ravel auf eine in der klassischen malaiischen Dichtkunst verwendete Strophenform, bei der der jeweils 2. und 4. Vers des ersten Vierzeilers als 1. und 3. Vers des darauffolgenden wiederkehren; Victor Hugo und Charles Baudelaire haben den Begriff und die Form in die französische Literatur eingeführt – und auch Saint-Saëns hat sie in seiner Lyrik gepflegt. Ravel adaptiert dieses kunstvoll-kleinräumige Verfahren für seine musikalischen Zwecke, in dem er drei deutlich kontrastierende Themen – ein diabolisch-sarkastisches (a-moll, staccato), ein verführerisch-drängendes (Fis-Dur, kurzatmiges legato) und ein schlicht-liedhaftes (F-Dur, weitgespanntes legato) – in alle möglichen Beziehungen zueinander setzt, wobei sich atemberaubende rhythmische Pikanterien ergeben. Die Präzision, mit der hier Tonarten, Artikulationsschemata und melodische Archetypen zur Charakterisierung der einzelnen Schichten des Geschehens verwendet werden, läßt einen unwillkürlich an das berühmte Stravinskij-Wort über Ravel denken: „Un orloger suisse !“ Trotzdem wird man, wenn man sich vom Titel des Satzes zu literarischen Assoziationen verführen läßt, wohl eher an die unbekümmerte Assoziationskunst von Verlaines berühmtem Pantoum negligé denken, der für die zu den Vorläufern der Dadaisten zählenden Zutistes geschrieben wurde:

Trois petits pâtés, ma chemise brûle.
Monsieur le curé n’aime pas les os.
Ma cousine est blonde, elle a nom Ursule.
Que n’émigrons-nous vers les Palaiseaux!


Die Passacaille (Très large) ist die Sphinx des Trios: bei aller Klarheit des streng symmetrischen Ablaufs, bei aller lapidaren Monumentalität ist hier doch ein Punkt mystischer Konzentration erreicht, der sich nicht nur, wie Musik ganz allgemein, der „Erklärung“, sondern auch schon der unverbindlichen Beschreibung entzieht. Die Identität des Themenkopfes mit dem des vorangegangenen Pantoum unterstreicht den radikalen Stimmungswechsel zwischen beiden Sätzen noch zusätzlich: der Tempo- und Registerwechsel hat den übermütigen Sarkasmus des Pantoum zu einer hieratischen Beschwörungsformel erstarren lassen.

Der direkt anschließende vierte Satz (Final. Animé) nimmt wieder den baskischen Ton des Kopfsatzes auf, mit dem er auch die äußere Form (Sonatenform) und das auffällige Übergewicht des Hauptthemas gegenüber dem Seitenthema gemeinsam hat. Die Zahl Fünf steht gleich dreimal im Zentrum dieses Satzes: das allgegenwärtige fünftaktige Hauptthema steht im Fünfvierteltakt (wieder mit einem Zortziko-Rhythmus) und bezieht sein Tonmaterial aus zwei ineinander verschachtelten Fünftonreihen: daß ein solcher Exzeß an Kunstfertigkeit schließlich nicht etwa Kunsthandwerk, sondern lebensvolle, große Kunst ist, bleibt auch noch nach Jahren der dienenden Bekanntschaft mit diesem Meisterwerk eine Quelle bewundernden Staunens.

Ravel gelingt das Kunststück, das ganze Werk hindurch die Nähe zu seinen baskischen Quellen hörbar sein zu lassen, ohne je zur Adaption oder Imitation von konkret vorgegebenen Gestalten greifen zu müssen. Der Ton, der hier die Musik macht, ist eine ganz persönliche Verinnerlichung der wesensbildenden Stilmittel baskischer Folklore. Die Durchdringung und Verschmelzung von subtil Persönlichem und urwüchsig Allgemeinem ist es wohl, die dieses Werk zu dem „klassischen“ Klaviertrio des XX. Jahrhunderts schlechthin gemacht hat.

© by Claus-Christian Schuster