Richard Strauss
* 01. Juni 1864
† 08. September 1949
Klavierquartett Es-Dur op.13
Komponiert: | München, Anfang Oktober 1884 – 1. Jänner 1885 |
Widmung: | Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen |
Uraufführung: | Weimar, 8. Dezember 1885 Richard Strauss, Klavier Karel (Carl) Halir (1859-1909), Violine N. Müller, Viola Hugo Dechert (1860-1923), Violoncello |
Erstausgabe: | Joseph Aibl, München, März 1886 |
Am 3. Oktober 1884 schrieb der Berliner Tonkünstlerverein einen Kompositionswettbewerb aus; der Preis war mit 300 Mark dotiert und sollte für ein Klavierquartett vergeben werden. Die Jury bestand aus Heinrich Dorn (Berlin), Joseph Rheinberger (München) und Franz Wüllner (Köln). Es ist nicht uninteressant, die Beurteilungen des von Strauss unter dem Losungswort „Die Tonkunst, die viel beredte“ eingesandte Werk durch die verschiedenen Juroren zu vergleichen: der Nestor der Jury, der achtzigjährige Dorn, reihte es an die 8. Stelle; der beharrliche Anti-Wagnerianer Rheinberger, damals ein Mittvierziger, setzte es auf den 2. Platz, und nur der etwas ältere Brahms-Intimus Wüllner erkannte dem Werk den 1. Preis zu. Offensichtlich war aber die Meinung der Jury über die anderen eingesandten Werke noch uneinheitlicher, so daß Strauss schließlich doch den Sieg davontrug. Der Uraufführung in Weimar mit Mitgliedern des Halir-Quartetts folgten in kurzen Abständen Aufführungen in Meiningen und Köln, wo sich Wüllner nachhaltig für das Werk einsetzte.
Richard Strauss, der sich im Alter gern als der Vollender und unwiderruflich Letzte einer Jahrhunderte umspannenden Epoche der Musikgeschichte stilisierte ( – in den „Metamorphosen“ findet diese Selbsteinschätzung ihren wohl beredtesten und überzeugendsten Ausdruck – ), hat sich mit dem Klavierquartett op.13 schon als Zwanzigjähriger ganz bewußt in eine große Traditionsreihe eingeordnet. Die Beethoven-Tonart c-moll ist nicht zufällig auch die von Brahms‘ letztem Klavierquartett; und wenn Brahms rückblickend in seinem C-moll-Quartett „eine Illustration zum letzten Kapitel vom Mann im blauen Frack mit gelber Weste“ (Brief an Theodor Billroth, 23. Oktober 1874), so hatte der junge Strauss zwar nicht gerade ein Werther-Erlebnis hinter sich, aber doch eine recht aufwühlende, in den Briefen scherzhaft camouflierte Beziehung zu der verharmlosend als „Pflegemama“ titulierten Grethe Begas. Diese reizende junge Dame war die Frau des wesentlich älteren Bildhauers Reinhold Begas. Strauss hatte sie in Berlin kennengelernt, wo er den Winter 1883/84 verbracht hatte. Verkürzend könnte man wohl sagen, daß sich die beiden c-moll-Klavierquartette von Brahms und Strauss ziemlich genauso zueinander verhalten, wie Brahms‘ Clara-Erlebnis zum Berlin-Abenteuer des neunzehnjährigen Strauss: dort tiefstes, das Innerste berührendes Erschauern, hier jungenhafte Faszination ganz allgemeiner Art: von der Großstadt, der Eleganz der Gesellschaft, dem Liebreiz der Frau.
Das nach der Rückkehr aus Berlin komponierte Klavierquartett wurde und wird dennoch fast immer als ein „brahmsisches“ Werk empfunden und beschrieben; die Parallelen erschöpfen sich aber in Wirklichkeit in einigen Eigenheiten von Faktur und formalem Verfahren. Strauss‘ Brahms-Verehrung war widerstrebend und nur von kurzer Dauer: nachdem er unmittelbar nach der ersten Begegnung mit der (erst wenige Wochen zuvor in Wien uraufgeführten) III. Symphonie mit burschikoser Sicherheit festhält, das Werk sei „miserabel und unklar instrumentiert“, das „Adagio“ (womit wohl das Andante gemeint ist) gar „öde und gedankenarm“ (Brief an den Freund Ludwig Thuille, 6.1.1884), ändert er nach mehrmaligem Anhören und gründlichem Studium seine Meinung ganz radikal: jetzt ist die Symphonie „klar in Form und Aufbau, famos gearbeitet… hat einen Zug und Schwung, der was Beethoven’sches hat… ganz herrlich in der Erfindung“ (Brief an den Vater, Ende Jänner 1884), und ist schließlich nicht nur Brahms‘ „schönste Sinfonie, sondern wohl die bedeutendste, die jetzt geschrieben worden ist“ (an Ludwig Thuille, 8.3.1884). Als Strauss aber dann im Oktober des Folgejahres in Meiningen Alexander Ritter kennenlernt und ganz in den Bannkreis dieses militantesten Wagnerianers gerät, ist es mit seiner Brahms-Begeisterung bald zu Ende. Bis ins hohe Alter waren Brahms‘ Symphonien für Strauss fortan nur noch „schlecht instrumentierte Klaviersonaten“.
Somit fällt die Komposition des Klavierquartetts in eine ganz kurze Phase des „Brahminentums“ im Leben des Komponisten; und natürlich kann man das dem Werk, bei aller grundlegenden Verschiedenheit der künstlerischen Intention und der kompositorischen Meisterschaft, sehr wohl anhören und ansehen.
Der erste Satz (Allegro, c-moll) lehnt sich in seinem Incipit äußerlich an den Beginn von Brahms‘ Klavierquartett g-moll op.25 an. Auch die raffinierte Technik der Entwicklung des Seitengedankens aus dem Nachsatz des Hauptthemas ist Brahms abgeschaut; aber schon die emphatische Schlußgruppe ist ureigenster und unverwechselbarer Strauss: die jubelnden Nonensprünge über den rauschenden C-Dur-Kaskaden nehmen schon die Welt der symphonischen Dichtungen vorweg. Die knappe eigentliche Durchführung kreist um die weit entfernte Tonart fis-moll. Auf eine sehr originell eingeleitete und erweiterte Reprise folgt eine ungewöhnlich ausgedehnte Coda, in der die Hauptmotive noch einmal kontrapunktisch zerstäubt werden. Mit einer trotzig-stolzen Geste schließt der Satz in C-Dur.
Das Scherzo(Presto, Es-Dur) ist ein humoriges „Kabinettstück“, das auf recht bajuwarische Weise derben Witz und zarte Ländlertöne (im H-Dur-Trio) vereint. Die sichere Hand, mit der hier die Effekte verteilt sind, verrät den künftigen Musikdramatiker.
Im folgenden Andante (f-moll/F-Dur) ist der Einfluß der langsamen Sätze aus den Brahmsschen Klavierquartetten ganz deutlich spürbar, obwohl der Ton um einiges süß(lich)er ist als bei Brahms. Ganz unüberhörbar sind die „Rosenkavalier“-Vorausklänge am Schluß der Reprise (der Satz hat die auch von Schubert häufig verwendete zweiteilige Form ohne Durchführung oder Mittelteil).
Das Finale (Vivace, c-moll) läßt einen gleich zu Beginn an Schumann denken: der synkopierte Einsatz auf der neapolitanischen Sext, der markige und unbeugsame Rhythmus – all das ist ganz den Schumannschen Archetypen nachempfunden. Formal ist der Satz eine recht eigenwillige Fortsetzung der seit Schubert beliebten Mischformen zwischen Rondo und Sonatenhauptsatz. Auch hier ist die Treffsicherheit, mit der Form, Farbe und Charakter behandelt werden, ganz erstaunlich: das Feld für die symphonischen Dichtungen ist schon bestellt.
Der Münchner Verleger Eugen Spitzweg, der Neffe des Malers und tatkräftige Förderer des jungen Meisters, verlegte das Werk 1886; die Widmung an Herzog Georg II., kurz bevor Strauss die Meininger Hofkapelle verließ, um nach München zurückzukehren, sollte wohl das trotz des Abschieds ungetrübte Verhältnis zwischen dem Komponisten und seinem fürstlichen Mäzen dokumentieren.
© by Claus-Christian Schuster