Alexander Zemlinsky
* 14. Oktober 1871
† 15. März 1942
Trio d-moll op.3
Komponiert: | Wien, 1896 |
Widmung: | Johann Nepomuk Fuchs |
Uraufführung: | Wien, Festsaal des Wiener kaufmännischen Vereins (I., Johannesgasse 4),11. Dezember 1896 Hugo Reinhold (1854-1935), Klavier Fr. Blümel, Klarinette (1878-?), Klarinette Friedrich Buxbaum (1869-1948), Violoncello |
Erstausgabe: | Simrock, Berlin, 1897 |
Prosaisches Vorspiel: Brahms als Juror
Zemlinskys Jugendjahre fallen mit dem Höhepunkt des für die Intrigenseligkeit des Wiener Kulturlebens so bezeichnenden Streites zwischen „Wagnerianern“ und „Brahmsianern“ zusammen. Wie tief und nachhaltig der durch diese mit den abstrusesten Mitteln geführte Auseinandersetzung war, kann man bei der Lektüre von Karl Kraus´ „Der Fall Kalbeck“ (Die Fackel Nr.158, 30. März 1904) erahnen. Obgleich Zemlinsky durch Herkunft und Ausbildung zum Anhänger der Brahms-Partei bestimmt war und auch an den Aktivitäten des „Wiener Tonkünstlervereins“, der in diesem ebenso erbitterten wie eigentlich sinnlosen Kampf das Bollwerk der Wagner-Gegner darstellte, regen Anteil nahm, so hatte er sich doch einen genügend unabhängigen und freien Blick auf die Dinge bewahrt und war alles andere als ein blinder Fanatiker. Arnold Schönberg, der mit Zemlinsky 1895 im Dilettantenorchester „Polyhymnia“ zusammentraf, berichtet:
„Als ich Zemlinsky kennenlernte, war ich ausschließlich Brahmsianer. Er aber liebte Brahms und Wagner gleichermaßen, wodurch ich bald darauf ebenfalls ein glühender Anhänger beider wurde…“
(Arnold Schönberg: My evolution)
Daß der Brahms-Biograph Max Kalbeck Zemlinsky totschweigt, kann man auch als Strafe für diese undogmatische Haltung betrachten.
Auch die „Polyhymnia“, deren Proben allwöchentlich im Augustinerbräukeller „Zur Tabakspfeife“ (Am Graben 29) stattfanden, war für die Animosität und Radikalität, mit der in diesen Jahren musikästhetische Fragen diskutiert wurden, anfällig: Bald nachdem Schönberg zu der Gruppe gestoßen war, bildete sich eine heftige Opposition gegen ihn, und nur dem energischen Eingreifen Zemlinskys war es zu danken, daß sich die Wogen glätteten – Schönberg sollte von der „Polyhymnia“ wenig später für sein Schilflied (nach Nikolaus Lenau) sogar den ersten Kompositionspreis seiner jungen Laufbahn erhalten.
Etwa zur gleichen Zeit, als Zemlinsky seinen zukünftigen Schwager Schönberg kennenlernte, kam es auch zu einer ersten „offiziellen“ Begegnung mit Brahms. Daß dieses Zusammentreffen im Musikverein stattfand, ist alles andere als ein Zufall – schon immer kreuzten sich die Wege der österreichischen Musikgeschichte an dieser Stelle. Am 18. März 1895 veranstaltete das damals noch im Musikvereinsgebäude untergebrachte Konservatorium im Großen Musikvereinssaal ein Festkonzert zur Erinnerung an die Eröffnung des neuen Hauses vor fünfundzwanzig Jahren. Brahms dirigierte dabei seine Akademische Festouverture op.80 – es sollte sein letzter Wiener Auftritt als Dirigent sein. Dem dreiundzwanzigjährigen Zemlinsky fiel bei diesem Konzert die ehrenvolle Aufgabe zu, die Uraufführung seiner Orchestersuite zu dirigieren. Diese Auszeichnung war nicht willkürlich: Zemlinsky hatte, nachdem er schon 1890 die Klasse des Brahms-Intimus Anton Door als bester Pianist des Jahrganges absolviert hatte, im Sommer 1892 auch sein Kompositionsstudium bei Hofkapellmeister Johann Nepomuk Fuchs mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen und konnte spätestens seit der Uraufführung seiner d-moll-Symphonie (10. Februar 1893) als die herausragende Erscheinung unter den jungen Konservatoriumsabsolventen gelten. Der glänzende Festakt bot aber nicht das richtige Ambiente, zu einer wirklichen Begegnung. Dazu kam es erst im folgenden Jahr. Am 5. März 1896
„wurden ein Streichquintett und eine Violin-Klaviersuite vom Quartett Hellmesberger aufgeführt. Bei dieser Gelegenheit wurde ich Brahms vorgestellt, und von dieser Zeit an war ich in näherem Verkehr mit ihm…“
(Brief an Emil Hertzka, November 1910)
Richard Heuberger berichtet in seinen Erinnerungen an Johannes Brahms, daß Brahms Zemlinskys Quintett gut gefallen habe: „Er äußerte sich ein ums andere Mal: »Sieht überall Talent heraus.« Als ich meinte, es sei vieles Anderes auch sehr hübsch gemacht, sagte er halb traurig und halb grantig: »Ach Gott, wer kann denn heute etwas Ordentliches schreiben?!«…“
Der nähere Verkehr bestand unter anderem, wie sich Zemlinsky 1922 erinnerte, in einer Besprechung von Zemlinskys Streichquintett, zu der Brahms den jungen Komponisten „mit der kurz und etwas ironisch hingeworfenen Bemerkung: »Natürlich, falls es Sie interessiert, mit mir darüber zu sprechen!«“ einlud.
„Mit Brahms zu reden war keine so einfache Sache. Frage und Antwort war kurz, schroff, scheinbar kalt und oft sehr ironisch. Am Klavier nahm er mit mir mein Quintett durch. Anfangs schonungsvoll, korrigierend, die eine oder andere Stelle sorgfältiger betrachtend, niemals eigentlich lobend oder nur aufmunternd, schließlich immer heftiger werdend. Und als ich eine Stelle der Durchführung, die mir in Brahmsischem Sinne als ziemlich gelungen erschien, schüchtern zu verteidigen suchte, schlug er das Mozartsche Streichquintett auf, erklärte mir die Vollendung dieser »noch nicht übertroffenen Formengestaltung«, und es klang ganz sachlich und selbstverständlich, als er dazu sagte: »So macht man´s von Bach bis zu mir!«…“
Im März 1896, als diese Szene sich höchstwahrscheinlich zutrug, muß Zemlinsky mitten in der Arbeit an einer neuen Komposition gewesen sein, die wie das Streichquintett in d-moll stand, und die der junge Komponist dem großen Meister nicht persönlich, sondern anonym zur Beurteilung übergeben wollte: Zemlinsky schrieb an einem Klarinettentrio, mit dem er am Wettbewerb des Tonkünstlervereines teilnehmen wollte.
Wenn Industrie und Handwerk, Handel und Gewerbe sich auf Weltausstellungen, Mustermessen und Leistungsschauen präsentierten, so durfte auch die Kunst nicht beiseite stehen: Preisausschreiben und Wettbewerbe aller Art hatten Hochkonjunktur. Brahms, der gleich im Gründungsjahr 1885 Mitglied des Wiener Tonkünstlervereins geworden war, wurde schon 1886 bei der Ausrichtung des ersten Kompositionswettbewerbs in Anspruch genommen. (Noch im selben Jahr wurde er dann auf Antrag Theodor Leschetitzkys zum Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit ernannt.) Die Wettbewerbe des Tonkünstlervereins wurden schon bald zu einer vertrauten Einrichtung des Wiener Musiklebens. Und wenn wir auch versucht sind, mit der allwissenden Arroganz der Nachgeborenen darüber zu lächeln, daß die Preisträger nicht Hugo Wolf, Gustav Mahler und Arnold Schönberg, sondern Julius Zellner, Hans Kössler und Walter Rabl hießen, so kann doch nicht geleugnet werden, daß von diesen Veranstaltungen recht wertvolle Impulse für die jüngere Komponistengeneration ausgingen.
Der Zielsetzung des Vereins entsprechend wurden vor allem jene Genres gefördert, die den Bestrebungen der „Neudeutschen“ und der „Wagnerianer“ ferne lagen oder geradewegs zuwiderliefen (Kammermusik, A-capella-Komposition etc.).
Auch 1896 trug die Aufgabenstellung des Wettbewerbs deutlich „ideologische“ Züge: Diesmal ging es um die Komposition eines Kammermusikwerkes mit einem Blasinstrument – eine Werkkategorie, zu der Brahms selbst gerade erst mit seinen Opera 114 (Klarinettentrio, 1891), 115 (Klarinettenquintett, 1891) und 120 (zwei Klarinettensonaten, 1894) Meisterwerke beigesteuert hatte. Im Jänner 1896 erschien also folgende Ausschreibung:
„Der Wiener Tonkünstlerverein schreibt zur Förderung der Kammermusik-Literatur für Blasinstrumente zwei Preise aus für die besten Kammermusikstücke, bei denen mindestens ein Blasinstrument verwendet wird. Die Zusammenstellung der übrigen Instrumente bleibt den Componisten überlassen.
Die Preise betragen 300 und 200 Kronen.
Zur Einsendung concurrirender Arbeiten sind berechtigt:
1. alle in Österreich-Ungarn lebenden Componisten
2. alle österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf ihren Wohnort…“
In den Tagen nach dieser Veröffentlichung trug sich auch ein Schüler Zemlinskys mit Plänen für ein Klarinettentrio, das er allerdings nach 16 Takten liegenließ – das von Arnold Schönberg am 9. Februar 1896 zu Papier gebrachte Fragment folgt ganz offensichtlich den Spuren seines Lehrers.
Wenn das erklärte Wettbewerbsziel der „Produktionsförderung“ schon vollkommen dem unternehmerischen Geist einer zukunftsgläubigen Industriegesellschaft entspricht, für die eben auch die Kunst ein umsichtig zu entwickelnder Produktionszweig ist, so findet man in der Abwicklung des Wettbewerbes selbst ein getreues Miniaturbild der damaligen politischen Realität: Ganz wie in der konstitutionellen Monarchie erscheinen auch hier „autoritäre“ und „demokratische“ Züge in engster Nachbarschaft. Die anonym eingesendeten Werke, die durch ein frei gewähltes Motto gekennzeichnet waren, sollten von einem Comité gesichtet und beurteilt werden; über die einer Aufführung für würdig befundenen Werke durften dann alle ordentlichen Vereinsmitglieder abstimmen.
In der Zusammensetzung der Jury dokumentiert sich die enge Bindung des Tonkünstlervereins an die Gesellschaft der Musikfreunde, in deren Gebäude ja auch die Vereinsabende stattfanden. Neben Johannes Brahms gehörten Eusebius Mandyczewski und Richard von Perger diesem Gremium an. Richard von Perger (1854-1911) war erst 1895 aus Rotterdam in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um hier die Direktion des Musikvereins zu übernehmen; sein erstes Saisonprogramm hatte er sogleich seinem mittelbaren Amtsvorgänger Brahms (artistischer Direktor 1872-1875) zur Korrektur vorgelegt. Auch Eusebius Mandyczewski (1857-1929), der seit 1879 zum allerengsten Brahmskreis gehörte, war Amtsnachfolger des Meisters: Er war 1881 zum Leiter der Wiener Singakademie ernannt worden, der ja auch Brahms in seiner ersten Wiener Zeit (1863/64) vorgestanden hatte. Seit 1887 leitete Mandyczewski das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde.
Nach Ablauf der Einsendefrist am 31. Juli 1896 lagen dem Comité achtzehn Kompositionen vor. Die Entscheidung der Jury trägt ganz unverkennbar die Handschrift des alternden Meisters: Nicht weniger als zwölf der eingesandten Werke wurden zur Aufführung empfohlen, und „dieses verhältnismäßig günstige Ergebnis bewog einen ungenannt sein wollenden Gönner des Vereins – zur Spende von 400 Kronen, wodurch der Verein in den Stand gesetzt wurde, die Preise zu 400, 300 und 200 Kronen für diesmal festzusetzen.“ Keinem Kenner der Brahms-Biographie dürfte es schwerfallen, das Incognito dieses Mäzens zu lüften. (Für Steuerfahnder, Skeptiker und andere kritische Geister: Ein Londoner Verehrer hatte kurz zuvor Brahms eine größere Summe vermacht, und Brahms konnte seinem Verleger Fritz Simrock daher am 3. Dezember 1896 schreiben: „Falls in Berlin Geld für mich liegt, kann es in den Reichskeller kommen, die englische Erbschaft reicht noch – trotzdem ich die Preisarbeiten königlich protegiere.“)
Wenn man aber weiß, wie kritisch Brahms auch (und vor allem) gegenüber seinen eigenen Werken war, und wie selten er sich zu wirklichem Lob oder ehrlicher Anerkennung hinreißen ließ, dann wird man in dem „verhältnismäßig günstigen Ergebnis“ des Wettbewerbs weniger zukunftsgläubigen Enthusiasmus, sondern vielmehr resignative Milde widerspiegelt sehen. Brahmsens Unbehagen an der Situation des Wettbewerbes drückte sich diesmal nicht in bärbeißiger Grobheit, sondern in großväterlicher Nachsicht aus. Das beweist auch seine Antwort an Fritz Simrock, der sich anläßlich eines Kurzbesuches in Wien für die Wettbewerbsstücke sehr interessiert hatte:
„…Die Konkurrenzarbeiten sind Eigentum der Komponisten; ich werde schon in Deinem Interesse Deiner nicht vergessen, Du brauchst Dich um gar nichts zu bekümmern. Ich muß mich nur hüten, weil ich zu geneigt bin, passable Werke zu überschätzen (im ersten Augenblick) – man sehnt sich gar so sehr nach etwas Erfreulichem!“
(Brief vom 30. Oktober 1896)
Ist es zu spekulativ, hier die Sehnsucht nach einem ähnlichen Erlebnis mitschwingen zu hören, wie es Brahms selbst 1853 Schumann in Düsseldorf bereitet hatte?
Die Nachsicht des Meisters bescherte den Vereinsmitgliedern immerhin eine ganze Reihe interessanter Konzerte: an fünf Abenden wurden die von der Jury ausgewählten Werke aufgeführt. Da die sonst benutzten Räume im Musikvereinsgebäude gerade neu adaptiert werden mußten, wich man in den Festsaal des Wiener kaufmännischen Vereins aus (Johannesgasse 4, heute Ballettabteilung des Konservatoriums der Stadt Wien) – diese erzwungene Symbiose von Kaufmannschaft und Künstlertum muß den Hanseaten Brahms heimatlich angemutet haben.
Gleich am ersten dieser Abende (20. November 1896) konnten die Zuhörer Zemlinsky als Pianisten erleben – er wirkte an der Aufführung einer unter dem Motto „Per aspera ad astra“ eingereichten Hornsonate mit. Einen Tag später konnte er übrigens abseits des Wettbewerbs einen kleinen Triumph feiern: die junge Pianistin Hedwig Ulmann hatte auf das Programm ihres Konzertes im Bösendorfersaal zwei der Ländlichen Tänze op.1 „des jungen begabten Wiener Componisten“ gesetzt, „von denen eines stürmisch zur Wiederholung begehrt wurde.“ (Neue musikalische Presse, 13. Dezember 1896).
Drei Wochen später, im vierten Konzert der Reihe (11. Dezember 1896), stand dann Zemlinskys Opus 3 auf dem Programm, das er unter dem Motto „Beethoven“ eingereicht hatte. (Dieses lakonische Motto, dem nur böswillige Deutung einen megalomanen Nebensinn hätte geben können, stand jedenfalls in wohltuendem Gegensatz zu den poetischen Ergüssen einiger Mitkonkurrenten. Zwischen den Mottos zweier der ausgeschiedenen Kompositionen ergab sich etwa folgender ideologischer Disput: Bläseroktett, Motto: „Von des Lebens Gütern allen bleibt der Ruhm das höchste doch!“ – Andante für Klarinette und Streichquartett, Motto: „Nicht Ehr und Ruhm will ich erringen / Ein einfach herzlich Lied nur singen!“)
Der letzte Abend (22. Dezember 1896) wurde mit dem Septett Z mého zivota (Aus meinem Leben) von Josef Miroslaw Weber (Prag 1854–1906 München) beendet. Ein unvoreingenommener Betrachter wäre versucht, an eine vorausgeplante Dramaturgie denken; jedenfalls scheint dieses Werk auf den von der Jury veröffentlichten Werklisten immer an erster Stelle auf. Auch der Kritiker der Neuen musikalischen Presse scheint von dieser sehr bekenntnishaften und eigenwilligen Komposition ganz besonders angetan – natürlich ist ihm auch die bewußte Anlehnung an Smetana nicht entgangen.
In Wahrheit war freilich – wie es bei Wettbewerben eben schon vor hundert Jahren zu gehen pflegte – alles schon lange vor diesem Abend so gut wie entschieden. Auch mit der „Anonymität“ der Bewerber war es nicht sehr weit her, denn bereits am 3. Dezember hatte Brahms seinem Verleger (in dem schon oben zitierten Schreiben) mitteilen können:
„…Das Beste ist jedenfalls ein Pianofortequartett mit Klarinette. Es soll von Rabl, einem Schüler Nawratils, sein. Ich kenne den jungen Mann und seine Sachen wenig, da er mir persönlich nicht sympathisch war. Natürlich behalte ich ihn und sein Stück jetzt im Auge…“
Wenige Tage später war dann die Sache noch klarer:
„…Über unsern Preiskomponisten Walter Rabl werde ich immer Erfreulicheres melden. Ein ganzer Stoß Sachen von ihm liegt bei mir. Er selbst kommt der Tage zum Fest, ist im Begriff, in Prag seinen Doktor zu machen. Die Abstimmung ist am 22sten; ich glaube, daß er den ersten Preis kriegt – das ist aber ganz Nebensache. Alles wird bestens besorgt von Deinem J. Br.“
(An Fritz Simrock, 17. Dezember 1896)
So konnte also an jenem 22. Dezember 1896 nach der programmgemäß verlaufenen Abstimmung durch die anwesenden Vereinsmitglieder Walter Rabl (1873-1940) den ersten Preis in Empfang nehmen, während das Septett Miroslaw Webers auf dem zweiten Platz landete; der dritte Preis ging an Zemlinskys Klarinettentrio – und so gesehen hat Zemlinsky diesen Erfolg allein dem „ungenannt sein wollenden Gönner“ zu verdanken, der ja mit seiner Spende die Vergabe von drei Preisen erst ermöglicht hatte.
Seinem Simrock gegebenen Versprechen blieb Brahms treu – am letzten Silvesterabend seines Lebens konnte er seinem Freunde melden:
„…Das Quartett von Rabl und das Trio von Zemlinsky gehören Dir. Bei beiden kann ich eben auch den Menschen und das Talent empfehlen. Wenn Rabl zögert, Dir das Quartett zu schicken, so ist das wohl meine Schuld, er meint warten zu sollen, bis er Gleichwertiges beilegen oder gleich folgen lassen kann…“
In eben diesem Sinne hatte 1853 Schumann den jungen Brahms instruiert. Rabl zögerte nicht lange: Simrock druckte gleich nach dem Klarinettenquartett noch ein Klaviertrio und Lieder; Zemlinsky konnte bei Simrock zusätzlich zu dem Trio op.3 noch sein Streichquartett op.4 unterbringen. Brahms erlebte die Drucklegung der von ihm protegierten Werke nicht mehr.
Das Werk
Nur zwei der beim Kompositionswettbewerb des Tonkünstlervereins eingereichten Kompositionen bedienten sich der von Brahms verwendeten Instrumentenkombinationen: ein nicht zur Aufführung zugelassenes Andante für Klarinette und Streichquartett und Zemlinskys Trio. Obwohl manches darauf hindeutet, daß Zemlinsky schon während der Komposition die Herstellung einer Alternativfassung für die „klassische“ Klaviertrioformation miterwog, so ist die Wahl gerade dieser instrumentalen Gestalt durchaus emblematisch zu verstehen.
Das Genre „Klarinettentrio“ in der Kombination Klavier – Klarinette – Violoncello zeichnet sich unter den „Nebenformen“ der Kammermusik dadurch aus, daß es Instrumente aus drei wesensverschiedenen Familien verbindet, denen allen ein besonders großer Stimmumfang gemeinsam ist. Die klangfarblichen und kontrapunktischen Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben, sind besonders reizvoll. Es erstaunt daher nicht, daß diese Gattung vor allem im Umfeld von Beethoven und Brahms anzutreffen ist. Im Gegensatz zur nahe verwandten Form des Trios Klavier – Violine – Klarinette, die einen noch „folkloristischeren“ (und von Komponisten wie Bartók, Stravinskij und vielen anderen auch mit großem Effekt eingesetzten) Unterton provoziert, läßt die von Beethoven und Brahms gewählte Kombination ein reicheres Feld an Möglichkeiten offen. Zwar zeigt Beethovens berühmtes „Gassenhauer-Trio“ (B-Dur, op.11), der paradigmatische Ursprung der gesamten Gattung, daß sich auch diese Zusammenstellung für explizit „volkstümliches“ Material hervorragend eignet (und Brahms schließt sich mit dem Mittelteil des dritten Satzes seines Klarinettentrios diesem Beweis an), aber die Festlegung ist viel weniger eindeutig. Beethovens unmittelbare Nachfolger, Anton Eberl (op.36 und op.44), Heinrich Eduard Josef von Lannoy (op.15) und Ferdinand Ries (op.28), schenken diesen folkloristischen Möglichkeiten auch kaum Beachtung.
Das einzige „prominentere“ Beispiel einer Komposition für unsere Besetzung zwischen Beethoven und Brahms ist das Klarinettentrio op.29 von Vincent d’Indy (1887). Unter den unmittelbar von Brahms angeregten Werken ist Zemlinskys Trio op.3 wohl das früheste – in den Folgejahren erscheinen dann Kompositionen der Brahmsianer Wilhelm Berger (der ab 1893 als Leiter der Meininger Hofkapelle wohl auch von Richard Mühlfelds beseeltem Klarinettenspiel inspiriert wurde), Robert Kahn und Carl Frühling.
Das von Zemlinsky gewählte Motto „Beethoven“ bezieht sich vor dem Hintergrund der hier kurz skizzierten Entwicklung des Genres natürlich vor allem auf den Stammvater der Gattung – eine bewußte stilistische Anlehnung konnte eigentlich nur ein Kritiker erwarten. Anton Krtsmáry, Rezensent für die „Neue musikalische Presse“ und selbst Mitglied des Tonkünstlervereins, macht denn auch prompt das Motto zum Ausgangspunkt seiner betont kühlen Kritik:
„Das mit dem dritten Preis gekrönte Trio (in D-moll) von Alex. Zemlinszky scheint trotz des Mottos „Beethoven“ von Brahms abhängig zu sein. Der erste Satz, wenngleich wenig selbständig, ist doch recht interessant gearbeitet. Am besten gefiel mir der zweite Satz (D-Dur), Andante quasi Adagio.“
Daß das Werk wirklich von Brahms abhängig ist, bedarf wohl weder einer Rechtfertigung noch einer Begründung. Wie weit diese Abhängigkeit im einzelnen geht, oder vielmehr: mit wie wachen Sinnen Zemlinsky das Brahmssche Vorbild aufgenommen und analytisch verwertet hat, ist in der Sekundärliteratur schon eingehend besprochen worden (zuletzt von Werner Loll, Kassel 1990).
Der erste Satz (Allegro ma non troppo) ist – wie so oft bei Jugendwerken – der kompositorisch bei weitem anspuchsvollste und ambitionierteste Teil des Werkes. In der Ökonomie der thematischen Arbeit an Brahms, in der Art des melodischen Materials ein wenig an Dvorák orientiert, entbehrt der Satz durchaus nicht persönlicher Züge, so zum Beispiel in der eigenwilligen Kombination der verschiedenen rhythmischen Keimzellen oder in den ganz deutlich eine individuelle Handschrift verratenden harmonischen Fortschreitungen (beides besonders ausgeprägt in der souverän gestalteten Durchführung).
Im zweiten Satz (Andante, D-Dur) lassen sich unschwer Reminiszenzen an das Brahmssche Klarinettenquintett op.115 ausnehmen, obwohl gerade das Hauptthema mit seiner fast süßlichen Fin-de-siècle-Koloristik in auffälligem Gegensatz zur viel herberen Tonsprache des Meisters steht. Aber auch an diesem Hauptthema ist das vertiefte Brahms-Studium des jungen Zemlinsky nicht spurlos vorübergegangen – man beachte etwa, wie unaufdringlich und doch konsequent der Themenkopf aus der Schlußwendung des vorhergehenden Satzes entwickelt wurde.
Der letzte Satz (Allegro) scheint das so ernst und bekenntnishaft begonnene Werk auf ganz andere Bahnen führen und in einem sorglosen, ja fast koketten Ton beschließen zu wollen. Am Schluß der Reprise aber tritt als Höhepunkt einer fiebrigen Steigerung das rhapsodische Hauptthema des ersten Satzes in all seiner schicksalshaften Bedeutungsschwere noch einmal wie der steinerne Gast auf; doch schon ist auch Puck zur Stelle, der den nächtlichen Spuk mit einer übermütigen Kapriole verscheucht – offensichtlich sind wir mit diesem Schlußsatz in das Hofoperndepot geraten.
Wenn dieses Finale und sein Verhältnis zu allem Vorhergehenden also auch Anlaß zu einigem kritischen Stirnrunzeln geben mag (uns entlockt es freilich viel eher ein beifälliges Schmunzeln), so führt es den Komponisten doch mit unbezwingbarer Logik in sein ureigenstes Gebiet, auf das Theater, wo Zemlinsky sich als einer der bezauberndsten und fesselndsten Märchenerzähler der Musikgeschichte bewähren sollte.
© by Claus-Christian Schuster